Schönheit, Boulevard & Kunst

FACE/OFF

René Zellweger macht einen Michael Jackson, woraufhin Uma Thurman einen René Zellweger macht. Zum Verhältnis von Schönheit, Moral, Boulevard und Kunst.

Schockierend, seltsam und praktisch nicht wiederzuerkennen. Nach einem Red Carpet-Auftritt von René Zellweger im vergangenen Oktober steht die virale Welt Kopf. Der Grund: Sie hat „irgendwas mit ihrem Gesicht gemacht“. Unter dem Hashtag #reneezellwegerface tauchen schnell erste Vermutungen der Netzgemeinde auf. Botox, Facelift, Alien-Invasion?

In den 1990ern war Zellweger mal eine passable Indie-Schauspielerin, bevor Sie mit der Rolle verpeilt-pummligen Bridget Jones als Heilige Muttergottes aller Singlefrauen über Dreißig zu Weltruhm gelangte. Und obwohl sie nie müde wurde zu betonen, wie wahnsinnig schwer es ihr gefallen sein, für die Rolle von Jones zunehmen zu müssen, galt Zellweger doch eigentlich nie als Schönheitsikone. Zu hamsterbackig, zu kleinäugig. Insgesamt eher Kumpeltyp als Vamp.

Als Uma Thurman nur wenige Monate nach dem Gesichtsgate mit ebenfalls in neuer Optik zeigte, war doing a Zellweger bereits zum geflügelten Wort geworden. Das Gesicht der Schauspielerin hatte eine erhitze Debatte über die Ethik von Schönheitseingriffen entzündet, die eigentlich von vorgestern ist. Der selbstmorphende Körper wurde mittlerweile als eine alltägliche Tatsache akzeptiert – schließlich ist es nur eine Frage der Disziplin, ob frau wenige Wochen nach der Geburt eines Kindes wieder Reizwäsche zu präsentieren vermag. Im Gegensatz dazu wird das Gesicht als Sitz der Seele ausgemacht und zur Tabuzone erklärt. Kulturkritiker erklären das vermeintlich veränderte Aussehen zur Manifestation des Selbsthasses der alternden Frau in der westlichen Welt. Die Bild-Zeitung orakelt, die 44-jährige werde ohne ihren „ausdrucksstarken Blick“ in Zukunft wohl auf lukrative Rollenangebote verzichten müssen. Die einhellige Botschaft an Zellweger lautet: Visage ist Glücksache, damit hat man sich gefälligst zu arrangieren, sonst knallt’s.

Ausgerechnet von Hollywood-Babes wie Zellweger und Thurman so etwas wie Wahrhaftigkeit zu erwarten, ist schon ein starkes Stück.  Schließlich weiß doch jeder, dass Kino Verarsche in Reinform ist. Was an der Gesichtsmanipulation im Real Life so schockierend sein soll, ist der Aspekt der Fälschung. Anders als in der Kunstwelt gilt der Akt der Re-produktion im menschlichen Antlitz noch nicht als progressive Technik. Auf die Spitze getrieben wurde die Verschönerungs-Schelte von dem finnischen Anthropologie-Professor Edward Dutton der behauptete, die blonde und blauäugige Schauspielerin, die „norwegische Wurzeln“ hat, hätte sich mit ihren Schlupflidern das Aussehen einer Inuit-Frau aus dem Gesicht radieren wollen, um „mehr nordeuropäisch“ zu wirken. Später erwähnt Dutton die Schauspielerin in einem Atemzug mit Michael Jackson, dessen plastisch-chirurgische Eingriffe dazu gedient hätten, ihm das Aussehen eines Weißen zu verleihen. Seine Ausführungen schließt er mit der Bemerkung ab, Zellwegers Entscheidung stimme ihn traurig. How sad.

 Sollte das Ethno-Tuning tatsächlich ihr Motiv gewesen sein, hätte Zellweger damit in sträflicher Weise einen Trend verpennt. Immerhin brachte die Quasi-Inuit-Physiognomie der als Pop-Elfe firmierenden norwegischen Sängerin Björk ihr unlängst eine viel beachtete Werkschau im New Yorker MoMa ein. Eine Nummer machte es die Sängerin einer Leipziger Elektropop-Band, deren Video vor ein paar Wochen durch Netz geisterte. Vor laufender Kamera ließ die junge Frau sich einen schwarzen Kreis mitten in die Fresse peikern, erklärte das zur Kunst-Performance  und begründete dies damit, dass die Inuit dort den Sitz der Seele vermuten. Auch wenn Video und Tattoo sich recht schnell als Fake entpuppten, macht die Aktion doch deutlich, dass die Inuit für den urbanen Hipster heute das sind, was die Polynesier für die Expressionisten oder die Mongolen für Beuys waren: Ein durch die Kitschbrille betrachtetes vermeintlich authentisches Sehnsuchtsvolk.

In Sachen Weltdeutung hat der Boulvard die Kunstszene sowieso längst abgehängt, wo diese sich in Selbstreferenzialismus auch verausgabt, produziert die Celebrity-Kultur munter Mythen am laufenden Band. Begreift man Kunst als ästhetisches Tun, spricht nichts dagegen Jackson und Zellweger missverstandene Avantgarde einer neuen Carnal Art zu betrachten, einer Bedeutungsproduktionsmaschine, deren Anliegen von Millionen mit Spannung verfolgt werden. „Kunst ist, was übrig bleibt, ohne zu altern“, schrieb einst der Schriftsteller Karlheinz Descher. Das zur Durchhalteparole ausgeformte Selbst braucht keine Utopien mehr, es ist der Ort, an dem Wunsch und Wirklichkeit zusammenfallen.  Denkt man diese Entwicklungen konsequent weiter, lassen sich für die Nahe Zukunft folgende Ereignisse prognostizieren: 1. Angelina Jolie lässt sich ein Inuk-Gesichtstattoo stechen. 2. Der Turner Prize wird erstmalig an eine Nageldesignerin verliehen.

KubaParis, Zeitschrift für junge Kunst, 2/2015