Róisín Murphy
Extravaganz ist eine Rüstung
Die Frau ist ein Pop-Gesamtkunstwerk. Róisín Murphy glaubt an die lebensverändernde Kraft der Mode, obwohl Ihre exzentrische Ästhetik in der Musikbranche lange Zeit als künstlerischer Selbstmord galt. Ein Modegespräch über Ikonen, Epigonen und den Mut zum Außenseitertum.
Róisín Murphy, Sie gelten als eine der wichtigsten popkulturellen Stilikonen der letzten 20 Jahre. Trotzdem landen Sie in Ihrer Heimat England regelmäßig auf den Worst dressed-Listen der Klatschmagazine. Wie fühlt sich das an?
Ich habe mich mittlerweile daran gewöhnt. Vor ein paar Jahren konnte man zumindest noch deutliche Unterschiede ausmachen zwischen dem, was als guter und dem, was als schlechter Stil galt. Heute lässt sich kaum mehr voraussagen, ob man für einen Look Applaus ernten oder den Kopf abgerissen bekommt. Dieses ganze Fashion-Blogger-Ding hat dazu geführt, dass Proportionen sich rasend schnell ändern. An einem Tag muss man riesige Handtaschen mit sich herumtragen, am nächsten dann klitzekleine und so weiter. Allerdings hat die Art, wie Frauen in unserer Kultur beobachtet und beurteilt werden, auch immer etwas von einer Hexenjagd. Es ist, als ob die Klatschmagazine sagen wollten: Wer glaubt die eigentlich, wer sie ist? Die muss wohl ein bisschen zurechtgestutzt werden. Das ist ein Klassiker.
Das berühmte Schwanenkleid, das Björk 2001 zur Oscar-Verleihung trug, ist jetzt im MoMA in New York ausgestellt.
Für dieses Kleid hat die Presse Björk regelrecht hingerichtet. Dass es jetzt im Museum gezeigt wird, ist doch eine wundervolle Pointe. Marjan Pejoski, der das Kleid entworfen hat, ist ein guter Freund von mir. Ich betrachte solche Kreationen nicht als Mode im kommerziellen Sinne, sondern als Kunst. Für eine Performerin wie mich ein unverzichtbares Handwerkszeug.
Wie wichtig sind gesamtkonzeptionelle Zusammenhänge für Sie? Haben Sie bei der Arbeit an Hairless Toys schon daran gedacht, wie die Songs sich visuell umsetzen lassen?
Bei der Arbeit an einer Platte bin ich total auf die Musik konzentriert, es dauert dann eine Weile bis sich daraus eine bestimmte Ästhetik ergibt. Ich mache mein Styling immer selbst und als das Shooting für das Albumcover anstand, bin ich erst mal durch sämtliche Vintage-Läden gezogen. Mir war es wichtig, einen zeitlosen Look zu finden, deshalb wollte ich keinen bestimmten Designer tragen. Der Titel des Albums hat mir bei Suche sehr geholfen. Als ich die rote Bluse, die ich auf dem Coverfoto trage, in einem Laden entdeckte, wusste ich sofort: das ist so was von Hairless Toys! Diese Bluse ist aus einem ganz widerlichen, billigen Material – 100% Polyester – und hat einen hässlichen großen runden Kragen. Sie strahlt irgendwie etwas Brutales aus – trocken, kalt, unheimlich, angsteinflößend – wie etwas aus einem Traum oder einer Kindheitserinnerung. Das bedeutet Hairless Toys für mich, es entspricht dieser Ästhetik. Gebäude können Hairless Toys sein. Berlin ist Hairless Toys.
Weil es so hässlich ist?
Es geht eher um eine bestimmte Atmosphäre. Vielleicht hat es gar nicht so viel mit der Realität zu tun, sondern vielmehr mit der Idee dieser Stadt. Die ganze Bowie-Berlin-Ära ist ziemlich Hairless Toys.
Berlin als ein mythischer Ort, an dem die Ausgeflippten sich zusammentun, so wie Sie es dem Song „Gone Fishing“ auf Ihrem neuen Album beschreiben?
Die Lyrics zu diesem Song habe ich geschrieben, nachdem ich Dokumentarfilm Paris is Burning von Jennie Livingston gesehen hatte. Es geht um die Idee ausgegrenzt und ausgestoßen zu sein. Und darum, deine eigene Familie innerhalb einer Jugendkultur zu finden. Dieses Thema zieht sich durch das gesamte Album.
Die Philosophin Judith Butler benutz Paris is Burning als einen Beleg für Ihre Theorie, dass Geschlechterrollen das Ergebnis performativer Prozesse sind. Sehen Sie da Parallelen zu ihren eigenen Bühnenshows?
Als Künstlerin fühle ich mich nicht wie eine Frau.
Natürlich fühle ich mich auch nicht wie ein Mann, aber ich denke nicht, dass ich Musik für Frauen mache. Als Bühnenfigur bin ich weder männlich noch weiblich. Ich möchte zeigen was es bedeutet, ein Mensch zu sein. Dieses Menschsein ist ein zutiefst komplexer Vorgang. Es vereint widersprüchliche Aspekte, die eigentlich überhaupt nicht zusammenpassen. So wie es in dem Moloko-Song „Forever More“ heißt: „Endless tears/ Forever joy.
Die Kids in dem Film imitieren kommerzielle Fashionshows und eignen sich damit etwas an, wovon sie eigentlich ausgeschlossen sind. Glauben Sie an Stil als Selbstermächtigungsgeste?
Ja, definitiv. Extravaganz kann eine Rüstung sein. Aber Stil ist noch viel mehr als das, es geht um unverfälschten, unkorrumpierten künstlerischen Ausdruck. Sich mich anderen Ausgestoßenen zusammenzutun, setzt sehr viele kreative Energien frei. Diese Erfahrung habe ich in meiner Jugend auch gemacht.
Es ist die universelle Geschichte des Teenagers, der nicht zum Mainstream oder in das Schulsystem passt
. Der sich nicht für dieselben Dinge interessiert, wie die meisten anderen Kinder. Wenn man Glück hat, findet man andere Außenseiter mit ähnlichen Interessen – dann findet man sich auch selbst.
Gibt es da eine Logik, die sich bis heute fortsetzt? Wollen Sie aufgrund dieser Erfahrung nicht mir professionellen Stylisten arbeiten oder mit kommerziellen Modelabels in Verbindung gebracht werden?
Ich sage niemals nie. Ich muss immer wieder ausprobieren, was zu mir passt. Sollte ich mich in ein paar Jahren damit wohlfühlen, als Aushängeschild eines Designers rumzulaufen, dann mache ich das eben. Bei den Visuals für mein Album habe ich alles selbst gemacht, weil ich es nicht hinterher bereuen wollte, von Kopf bis Fuß in Prada oder ein anderes Label gekleidet zu sein. Das wäre dann die Vision von jemand anderem gewesen. Ich musste mir Zeit lassen, um etwas Einzigartiges zu schaffen. In gewisser Weise bin ich mit Hairless Toys zu meinen Wurzeln zurückgekehrt. Schon als Teenager habe ich in Charity-Shops und auf Flohmärkten nach Sechzigerjahre-Sachen gesucht. Diese Kleider haben mir dabei geholfen ich selbst zu sein. Ich musste in der Zeit zurückreisen um etwas zu finden, dass nur für mich alleine war. Etwas, dass niemand anderes hatte – zumindest niemand, den ich kannte. Ich wollte ein einzigartiges Individuum sein.
War diese Faszination für Mode einfach immer da oder gab es einen auslösenden Moment?
Als Kind habe ich auf dem Dachboden meiner Tante eine Truhe mit fantastischen Sixties-Kleidern gefunden und mich sofort verliebt. Ich war aber schon vorher gerne verkleidet und hatte ausgeprägte textile Fantasien. Als ich zwölf Jahre als war, habe ich mir meine langen blonden Haare raspelkurz abschneiden lassen. Mein Vater musste weinen, als er mich so gesehen hat aber ich fand es großartig. Ich bin in einer einer Kleinstadt im Süden Irlands aufgewachsen. Dort bin ich dann in dem alten Hochzeitskleid meiner Tante und mit meiner Stoppelfrisur rumgelaufen.
Ich war zwar eine Außenseiterin, aber ich habe mich was getraut.
Gab es in der Schulzeit Probleme wegen Ihres verrückten Kleidungsstils?
Ich hatte eher Probleme wegen meines Benehmens – ich war immer sehr selbstbewusst und habe das auch durch meinen Kleidungsstil nach außen hin auch gezeigt. In meiner Schulzeit gab es häufiger Situationen, in denen andere Mädchen regelrecht Krieg gegen mich geführt haben. Heute weiß ich, dass Leute, die andere fertigmachen wollen, sich meistens selbst bedroht fühlen und Angst haben. Ich denke, sie konnten einfach nicht begreifen, warum sich auf einmal eine traut, aus der Reihe zu tanzen. Nachdem mir klar wurde, dass ich mich mit den anderen Außenseitern zusammentun konnte, machte es auf einmal Klick. Alles fiel an seinen Platz und ich konnte endlich die Person werden, die ich sein wollte.
Waren Sie jemals Teil einer Jugendbewegung?
Ich habe bei allen Jugendbewegungen mitgemacht! Mit 14 habe ich Sonic Youth entdeckt und mich in der Indie-Rock-Szene rumgetrieben. Sub Pop und The Jesus & Mary Chain und solche Sachen. Ich habe damals in Manchester gewohnt und angefangen, in Nachtclubs zu gehen – dann kam Dance Music und Black Music, HipHop und schließlich Rave. Danach bin ich nach Sheffield gezogen – dort mischt sich alles viel mehr. Schwarze und Weiße tanzten zusammen. Dort habe ich mehr über die Geschichte der Tanzmusik gelernt und viele neue Leute getroffen. Die Kids in Manchester haben zwar alle Musik geliebt, sind aber später trotzdem Lehrer, Journalisten oder Rechtsanwälte geworden. In Sheffield traf ich dann endlich Leute, die selber Musik gemacht haben.
Bedauern Sie die Kids von heute, weil sie nichts Neues mehr entdecken können und alles schon aus dem Internet kennen?
Ich denke wir müssen langsam mal damit aufhören, so viel Wert auf die Meinung und das Verhalten der Jugend zu legen. Diese ganze Vorstellung, dass Jugendkultur an sich etwas ist, das bedeutungsvoller und interessanter ist als das, was mittelalte oder alte Leute machen, halte ich für überholt. Jugendkulturen sind entstanden, weil die Kids in den Sechzigern auf einmal Geld hatten, das sie ausgeben konnten. Im Grunde ging es dabei also immer nur im Kommerzialisierung.
Welche Bedeutung hat die Art, wie Sie sich kleiden für Ihre Karriere als Musikerin?
Durch meine ganze Karriere hindurch musste ich die idiotischten Fragen von männlichen Musikjournalisten beantworten, warum ich mich so anziehe, wie ich mich anziehe. Ich hatte oft den Eindruck, als Künstlerin deswegen weniger ernst genommen zu werden. Das hat mich allerdings nur noch mehr angestachelt. Die Vorurteile, denen ich begegnete, waren für mich wie eine Carte blanche um richtig auszuflippen. Ach, euch gefällt nicht, wie ich mich anziehe? Dann sehr euch das hier mal an! Das ist ein Kleid mit eingebauter Beleuchtung! Was, ihr denkt nicht, dass das Kunst ist? Ich zeig euch, was Kunst ist! Kunst muss nicht schmerzvoll und pseudo-authentisch sein, um die Menschen zu berühren. Als Performerin trage ich tausend Masken aber nur, um mit ihrer Hilfe die Wahrheit zu erzählen. Ich würde nie im Leben auf die Idee kommen, mich nur in Jeans und T-Shirt auf die Bühne zu stellen. Das wäre unaufrichtig.
Als Lady Gaga 2008 auf der Bildfläche erschien war es ziemlich auffällig, dass sie sich ihr modisches Konzept bei Ihnen abgeschaut hatte. Fühlen Sie sich von Gaga beklaut?
Es ist offensichtlich, dass ich diese übertriebene Sache mit den verrückten Outfits schon vorher gemacht habe. Die Schulterpolster. Die Hüte. Natürlich war ich meinerseits total von Grace Jones beeinflusst. Als Overpowered rauskam wurde mir gesagt, dass ich ein fantastisches, brillantes, sogar eines der besten Pop-Alben der letzten zehn Jahre gemacht hätte – trotzdem könne aus mir nie ein Popstar werden, weil ich dafür einfach zu merkwürdig angezogen sei. Ich finde es schon ironisch, dass nur zwei oder drei Jahre später auf einmal jeder angesagte Popstar genauso ausgeflippt aussah wie ich. Ich bin deswegen nicht angepisst, aber ich finde das schon interessant. Vielleicht war ich einfach ein bisschen früher dran als die anderen. Natürlich ist die Musik von Lady Gaga auch total anders als meine, nicht so kompliziert. Radiotauglicher.
Leider habe ich keine Ahnung wie man es anstellt, ein riesiger internationaler Popstar zu werden.
Vielleicht braucht man dafür einen amerikanischen Anwalt.
Wie hat die Modebranche sich seit Ihrer Anfangszeit Mitte der 1990er-Jahre verändert?
Es kommt mir vor als wären die Neunziger erst vor fünf Minuten gewesen – und jetzt kommt alles schon alles wieder zurück. Bei der letzten Fashion Week in London hatte ich oft das Gefühl: Verdammt, so was hatte ich doch schon mal. Hätte ich das bloß aufgehoben, dann könnte ich es jetzt wieder tragen. Leider ist die Modebranche in den letzten Jahren viel zynischer geworden. Früher konnte ich einfach Gareth Pugh anrufen und sagen: „Ich brauche was zum anziehen.“ In seinem Lager durfte ich mich dann durch schwarze Plastikmüllsäcke voller fantastischer Kleider wühlen. Ich habe dann irgendwas hochgehalten und einfach gefragt: „Kann ich mir das ausleihen?“ Und er sagte: „Klar.“ Die Zeiten sind heute vorbei. Sogar ganz junge Designer haben schon eine ganz genaue Vorstellung davon, wen sie für welche Veranstaltung einkleiden wollen und wen nicht.
Ist Mode als Konzept heute einfach überholt? Es gibt keine verbindlichen Regeln mehr und alle machen einfach, was sie wollen.
Ich traue keinem, der nicht in die Mode vertraut.
Diese Menschen belügen sich selbst. Ich glaube der ganze Wunsch nach Authentizität in unserer heutigen Zeit ist bullshit. Heute schaut man auf Menschen herab, die sich noch Mühe geben, toll auszusehen. Das macht mich richtig krank. Diese endlose Suche nach bedeutungsloser Authentizität beobachte ich nun schon seit meiner Zeit bei Moloko vor 20 Jahren. Alles, was dabei herausgekommen ist, sind Bärte. Bärte überall. Es ist einfach lächerlich. Mode bedeutet für mich Freiheit, nicht Beschränkung.
Sie haben mal gesagt, dass Mode für Ihre Familie auch ein Weg war, aus der Enge der irischen Arbeiterklasse auszubrechen.
Das ist etwas, was mich tatsächlich fasziniert. Meine Eltern waren für ihre Generation sehr ungewöhnlich, sie kannten viele interessante Leute und haben tolle Partys geschmissen. Sie haben wilder gelebt als wir es heute tun. Durch die Art, wie sie sich kleideten und benahmen, haben sie mehr vom Leben verlangt, als ihnen ursprünglich zugedacht war.
So wie die britischen Mods in den Sechzigern?
Genau. Sie waren Kids aus der Arbeiterklasse, die sich einfach anzogen haben wie Angehörige der Oberklasse. Ich sehe das als ein typisch britisches Phänomen. Persönlich tendiere ich auch in diese Richtung, nach oben. Ich finde es einfach menschlich, sich durch schöne Kleidung als etwas Besseres darstellen zu wollen. Das bedeutet wahre Authentizität für mich. Nicht irgendwelche Mittelklasse-Typen, die krampfhaft versuchen, so abgerissen wie möglich auszusehen.
Die meisten wollen damit nur Ihre Eltern bestrafen.
Ja, das stimmt wahrscheinlich. Gott segne sie.
Spex No. 361, Mai/Juni 2015