ROBYN

"Musik kann keine Therapie ersetzen"

In Krisenzeiten ruft der Dancefloor, auch deshalb war neue Musik von Robin Carlsson überfällig. Als Robyn rüstete die Produzentin, Songwriterin und Sängerin aus Stockholm den Elektropop seit den frühen Neunzigern mit Glamour und Eigensinn aus, bis sie nach der Veröffentlichung des Albums Body Talk im Jahr 2010 jäh verstummte. Nun erscheint ihre neue Platte Honey und rät zur körperlichen Ertüchtigung – im Club und auf der Meditationsmatte.

Robin Carlsson, ihr letztes Studioalbum Body Talk ist 2010 erscheinen und war ein Riesenerfolg. Warum haben Sie sich für den Nachfolger Honey so viel Zeit gelassen?Ich wusste schon früh, wie die neuen Songs sich anhören sollten. Aber die Umsetzung bereitete mir Probleme. Mir fehlte einfach das technische Können, die Grooves, die ich im Kopf hatte, auch zu programmieren. Deshalb beschloss ich, mit Zeit zu nehmen und den Dingen auf den Grund zu gehen. Ich habe viel Zeit alleine im Studio verbracht und mich mit Drum-Computern und neuer Musik-Software beschäftigt. Es war mit wichtig, die Rohversionen der neuen Songs selbst aufnehmen zu können, ohne auf die Hilfe eines Produzenten angewiesen zu sein.

Trotzdem haben Sie sich für Honey den Produzenten Joseph Mount von der englischen Band Metronomy an die Seite geholt. Er hat auch schon mit Diplo, Kate Nash und Sophie Ellis Baxtor oder Kate Nash zusammengearbeitet.Es war nie mein Wunsch, das Album alleine zu produzieren. Die Zusammenarbeit mit Joseph war sehr wichtig für mich, ich schätze den künstlerischen Austausch mit ihm sehr. Der Unterschied war jedoch, dass ich dieses Mal mehr Kontrolle über den Prozess hatte und meine Ideen stärker miteinbringen konnte.

Die Texte auf Body Parts waren zum großen Teil sehr frech und trotzig: Sie handelten von einer junge Frau, die ihren Weg ohne Rücksicht auf Verluste geht. Dagegen klingen viele der neuen Songs melancholisch und traurig. Was ist passiert? Ich bin durch eine schmerzhafte persönliche Phase gegangen. Ich habe mich von meinem Partner getrennt und eine sehr nahestehende Person ist gestorben. Mein ganzer Körper fühlte sich wie eine Wunde an. Eine Therapie hat mir dann dabei geholfen, wieder mit meinen Gefühlen in Kontakt zu kommen und das Erlebte auf produktive Weise für meine künstlerische Arbeit zu nutzen. Die Dinge, die mir widerfahren sind haben mich stark verändert. Deshalb war es auch klar, dass ich nicht einfach an Body Parts anknüpfen und so tun konnte, als sei nichts passiert.

Trotzdem wird auf Honey immer wieder der Dancefloor als Ort genannt, an dem wir frei und glücklich sein können. Ist Musik das einzige, was uns noch retten kann? Ich bin nicht so naiv zu glauben, dass Musik eine Therapie ersetzen kann. Es erfordert harte Arbeit, eine seelische Krise zu überwinden. Als es mir nicht gut ging, habe ich die Welt komplett ausgesperrt. Ich habe gespürt, dass ich mir selbst Zeit geben muss, um zu heilen, bevor ich neue Musik machen konnte. Gleichzeitig hat die Musik mir dabei geholfen, mich selbst zu finden. Auszugehen und zu tanzen war wichtig, um meinen Körper wieder in einem positiven Sinne zu spüren.

Ihre ersten kommerziellen Erfolge hatten Sie bereits im Teenager-Alter, zu einer Zeit als Popsternchen wie Britney Spears und Christina Aguilera die Charts dominierten. Standen Sie jemals unter Druck, ein ähnlich sexualisiertes Image anzunehmen? Es gab natürlich Versuche, mir einen feminineren Look zu verpassen. Aber dabei habe ich mich immer schon unwohl gefühlt. Als junges Mädchen wollte ich mich selbst auch dadurch beschützen, dass ich aussah wie ein Junge. Ich habe meine Frisur als Ausdrucksmittel benutzt. Die kommerzielle, kapitalistische Sichtweise auf mich als junge Künstlerin, wie ich es in den USA am Anfang meiner Karriere erlebte, hat mich stark abgestoßen. Dagegen habe ich mich von Anfang an gewehrt und am Ende war es auch der Grund, warum ich ausgestiegen bin und mein eigenes Label Konichiwa Records gegründet habe. Ich wollte kreativ und ökonomisch eigenständig agieren können und meine Rechte als Künstlerin beschützen.

Ihr Song „Dancing On My Own“ erreichte durch Lena Dunham und deren Serie Girls Kultstatus. Stimmt es, dass Sie den Titeltrack den neuen Albums Honey extra extra für Dunham früher fertiggestellt haben? Ich bewundere Lena sehr. Sie ist schlau, witzig und lässt sich von keinem etwas vorschreiben. Als Sie mich nach neuer Musik für die letzte Staffel von Girls bat habe ich mich total gefreut und sofort zugesagt. Vielleicht sogar etwas zu voreilig, denn der Track war eigentlich wirklich noch nicht fertig. Aber es war mir eine Ehre, etwas beisteuern zu können, denn die Art, wie Dunham junge Mädchen zeigt, finde ich gesellschaftlich sehr wichtig.

Ihre treuesten Fans haben Sie in der queeren Community. Dort feiert man Sie als Ikone. Hat Sie das am Anfang Ihrer Karriere überrascht? Ich habe es nie darauf angelegt, bei einer bestimmten Gruppe von Menschen zu punkten. Schubladendenken war mir schon immer suspekt. Ich komme aus einer Theaterfamilie, alle Freunde meiner Eltern waren Künstler. Außerdem ist der feministische Diskurs in Schweden sehr einflussreich, wir sind ein fortschrittliches Land. Daher hatte ich das Glück, in meiner Kindheit nie mit bestimmten Normen, wie man als Mädchen zu sein hat, konfrontiert zu werden. Es hat sich für mich immer sehr natürlich angefühlt genderfluid aufzutreten. Trotzdem habe ich mich selbst nie als politische Aktivistin begriffen.

Wir Deutschen blicken traditionell sehnsüchtig nach Schweden als einem liberalen fortschrittlichen Sozialstaat. Nach den letzten Wahlergebnissen fürchten jedoch viele, dass es damit bald vorbei sein könnte. Wie haben Sie die Wahlen zum Reichstag erlebt, bei denen die rechtspopulistischen Schwedendemokraten auf 18 Prozent der Stimmen kamen und drittstärkste Partei wurden? Ich habe gelernt, dass man sich im Leben auf nichts verlassen kann. Deswegen wage ich nicht zu sagen, dass alles gut werden wird. Trotzdem kann ich mir nicht vorstellen, dass die Mehrheit der Schweden Rassisten sind. Ich hoffe, dass das politische Klima sich wieder entspannen wird. Die Geschichte zeigt, dass konservative Parteien von Krisensituationen profitieren, das kann schreckliche Konsequenzen haben. Angst macht Menschen dumm, das ist ein biologischer Fakt. Ich denke aber, dass viele junge Leute ziemlich schlau sind. Ich vertraue darauf, dass die Vernunft sich langfristig durchsetzen wird. Die Menschen sollten vielleicht einfach mehr meditieren.

Zumindest in der Kreativwirtschaft scheint in Schweden aber vieles richtig zu laufen. Für ein relativ kleines Land gibt es beeindruckend viele relevante Künstler_innen, von Abba über Refused bis The Knife. Hinzu kommen Produzenten wie Bloodshy & Avant oder Max Martin, die den Sound der westlichen Pop-Welt prägen. Eine stabile Gesellschaft ist das Fundament, auf dem kreative Freiräume entstehen. Allerdings spielt wohl auch die Geografie eine gewisse Rolle. In Schweden ist es den größten Teil des Jahres kalt und dunkel. Da muss man einfach anfangen, sich mit künstlerischen Dingen zu beschäftigen, um nicht komplett depressiv zu werden. Dazu kommt, dass es in Schweden kommunale Musikschulen gibt, in denen jedes Kind ab dem Alter von 10 Jahren ein Musikinstrument lernt.

In Deutschland wurde in diesem Sommer viel über eine Frauenquote für Musikfestivals diskutiert, aber am Ende wollte sich dann doch niemand dazu durchringen. Wie stehen Sie dazu? Das ist wirklich schade, denn in Schweden haben wir sehr gute Erfahrungen mit Frauenquoten gemacht. Nicht nur auf Festivals, auch in der Politik und in der Wirtschaft.

Menschen wollen einfach Künstler hören, die ihre Probleme verstehen. Deswegen muss es eine große Bandbreite an öffentlichen Stimmen geben. In Musikindustrie sind es immer noch hauptsächlich Männer, die in Machpositionen sitzen. Das hat natürlich Einfluss auf die Künstler, die gefördert werden. Es gibt so viele unglaublich tolle weibliche Künstlerinnen, die kaum Unterstützung erfahren. Vielleicht geht es aber auch gar nicht so sehr um Männer und Frauen, vielleicht müssen einfach die Entscheidungsprozesse sich ändern.

Was würde Sie heute jungen Frauen raten, die eine Karriere in der Musikindustrie anstreben? Gründet eine Band, lernt ein Instrument zu spielen! Verlasst euch nicht darauf, dass ein Produzent die ganze Arbeit übernehmen wird und ihr nur dastehen und hübsch aussehen müsst.