Rape & Revenge
Last Woman Standing
In Rape & Revenge-Filmen brauchen Frauen keine Hashtags, um sich an ihren Peinigern zu rächen. Stattdessen müssen Vergewaltiger auf grausamste Weise bluten. Aber was sagt die kurze Geschichte des Genres eigentlich über die gesellschaftliche Wahrnehmung sexualisierter Gewalt aus?
Der Film I spit on your grave aus dem Jahr 1978 ist ein Bad-Taste-Klassiker. Kritiker ernannten den Streifen bereits kurz nach seinem Erscheinen zum „worst movie ever made“.
Als besonders abstoßend wurde dabei nicht blutrünstige Darstellung schaurigster Tötungsmethoden empfunden, sondern die Tatsache, dass diese von einer Frau begangen wurden. An Männern.
Die Filmhandlung ist schnell erzählt: Die New Yorker Schriftstellerin Jennifer Hills mietet sich über den Sommer eine einsam gelegene Hütte am See, um dort ungestört arbeiten zu können. Die Gegenwart der schönen, jungen Frau aus der Stadt zieht jedoch schnell die Aufmerksamkeit diverser unangenehmer Dorftrottel auf sich. Hills wird von einer Gruppe Männern entführt, vergewaltigt und zum Sterben zurückgelassen. Doch sie überlebt und verbringt den Rest des Films damit, jeden Einzelnen davon auszuspüren, unter Einsatz ihrer sexuellen Reize zu isolieren und anschließend auf phantasievolle Weise ins Jenseits zu befördern.
I spit on your grave und andere Filme des Genres, wie Last House on the left (1972) oder Ms. 45 (1981), greifen klassische Motive von Slasher-Filmen wie Nightmare on Elm Street oder Texas Chain Saw Massacre auf. Dabei werden jedoch nicht nur die Geschlechterrollen von Täter und Opfer, Mann und Frau, vertauscht, sondern auch die moralische Botschaft der Gewaltorgien auf den Kopf gestellt.
Die Scream Queens, weibliche Starlets, deren Hoffnung auf eine Hollywood-Karriere in einem kurzen Auftritt als kreischendes Opfer in billigen Horrorfilmen gipfelt, werden durch abwechselnd satanisch-grinsende und pathetisch-winselnde Männer ersetzt. Der böse Buhmann, der im Finale traditionell selbst dahingemetzelt wird, gerät in der weiblichen Version zur heldenhaften Identifikationsfigur, zur last women standing. Ihr blutiger Rachefeldzug wird von der Filmlogik als nachvollziehbar und gerechtfertigt sanktioniert.
Frauen sind von diesen Filmen häufig zugleich abgestoßen und fasziniert. Schließlich spiegelt sich darin ein Kerndilemma des Feminismus wider: Sollen Frauen, um sich zu emanzipieren, die Handungsstrategien von Männern übernehmen und perfektionieren oder müssen sie diese ablehnen und nach eigenen, anderen Lösungswegen suchen?
Politische Diskussionen um sexualisierte Gewalt an Frauen, wie jene um die Vorkommnisse der Kölner Silvesternacht zeigen, dass einige Männer auch heute noch dazu neigen, die moralische Deutungshoheit solcher Taten an sich zu reißen. Sind es dagegen Frauen selbst, die wie im Zuge der #Metoo-Bewegung über ihre Erfahrungen berichten, werden sie immer noch häufig als Heulsusen oder Hysterikerinnen diffamiert.
Trotz der Schockwirkung solcher Filme lässt sich nicht von der Hand weisen, dass die allein die Darstellung von Vergewaltigung als Verbrechen die öffentliche Wahrnehmung sexualisierter Gewalt beeinflusst.
Gut zehn Jahre nach I spit on your grave war das Thema im Mainstream-Kino angekommen. Filme wie The Accused (1988, dt. Titel Angeklagt) mit Jodie Foster oder das Roadmovie Thelma & Louise (1991) griffen das Rape & Revenge-Motiv auf und machten im öffentliche Bewusstsein endgültig Schluss mit dem Mythos, dass Frauen selbst schuld seien, weil sie doch eigentlich „Ja“ meinen, wenn sie „Nein“ schreien. Die entsprechenden Filmszenen führte dem großen Publikum vor Augen, dass Vergewaltigung kein entschuldbares Kavaliersdelikt von Männern ist, die ihren animalischen Trieben hilflos ausgeliefert sind, sondern ein menschenverachtender Akt der Unterwerfung, der ihre Opfer nachhaltig traumatisiert.
Unangenehm bleibt, dass der Darstellung von Gewalt gegen Frauen in diesen Filmen breiter Raum eingeräumt wird. So nimmt die Vergewaltigungsszene in I spit on your grave gut 30 unerträgliche Minuten der Filmhandlung ein. Auch die in nur drei Minuten vergleichsweise knappe, jedoch nicht minder drastisch abgehandelte Gang Rape-Szene auf dem Flipperautomaten bildet unstrittig die Schlüsselszene von The Accused. Einige Kritikerinnen argumentieren deshalb, dass eigentlich die Vergewaltigung selbst, und nicht die die anschließende Rache, das zentrale Motiv dieser Filme sei.
Sex verkauft sich eben gut, egal ob dieser freiwillig geschieht oder nicht. Auch die Serie Game of Thrones verdankt ihre Popularität nicht zuletzt der Tatsache, dass sie ihren weiblichen Darstellerinnen über die Jahre einige ausufernde Vergewaltigungs-Szenarien zumutete. Tatsächlich zeigt die Serie jedoch nur rund ein Viertel der Vergewaltigungen, die sich im ihrer literarischen Vorlage, der Fantasy-Saga A Song of Fire and Ice von George R.R. Martin ereignen. Dem Autor wurde deshalb vorgeworfen, seine weiblichen Figuren als Bauernopfer zu instrumentalisieren, um die Verkommenheit der männlichen Charaktere zu verdeutlichen.
Frauen, die sich wehren, werden öffentlich immer noch als verstörend wahrgenommen.
Am Ende der sechsten Staffel von Game of Thrones kam es schließlich zum Aufstand der Gedemütigten. Der bis dahin als naiv und sensibel charakterisierten Frauenfigur Sansa Stark platzte endlich der Kragen und sie warf ihren tyrannischen Ehemann kühl lächelnd seinen eigenen Kampfhunden zu Fraß vor.
Diese unerwartete Wendung löste im Netz eine vehement geführte Debatte darüber aus, ob Sansa Stark nun an Charakterschärfe gewonnen oder die Sympathien des Publikums gänzlich verspielt habe. Einige waren der Meinung, dass Stark nun nicht länger als Vorbild für junge Mädchen tauge. Schließlich habe sie ihre Rache nicht nur von langer Hand vorbereitet, sondern augenscheinlich auch noch genossen.
Die Filmwissenschaftlerin Leah Richards schreibt, dass die Diskussion die ambivalente Wahrnehmung von Vergewaltigungsopfern in der Öffentlichkeit widerspiegele. Es herrsche immer noch die Ansicht vor, dass diese Frauen ihr Trauma am besten im stillen Kämmerlein überwinden sollten, anstatt lautstark Konsequenzen zu fordern.
Eine US-amerikanische Studie aus dem Jahr 2016 analysierte die Online-Kommentare zu 52 Zeitungsartikeln, die sogenannte Campus-Rape-Fälle, die Vergewaltigung von Studentinnen auf oder nach Partys, in den USA dokumentierten. Sie kam zu dem Ergebnis, dass ein Viertel der Kommentare den jungen Frauen selbst die Schuld an der Vergewaltigung zuwies, etwa, weil sie Alkohol getrunken hatten.
2016 startete mit Sweet/Vicious die wohl erste Campus-Rape-Komödie in den USA. Die Serie wurde in Deutschland nie gezeigt und nach der ersten Staffel eingestellt. Darin tut sich das Barbie-Girl Jules mit der ausgeflippten Hackerin Ophelia zusammen, um als Ninjas verkleidet im Superheldinnen-Stil fiese Typen an ihrer Uni zu vermöbeln. Neu daran war, dass potenziellen Vergewaltiger nicht als abstoßende Monster dargestellt wurden, sondern als gut angepasste, allgemein beliebte Gewinnertypen. So wurde auf soziale Dynamiken verwiesen, die es Opfern oft schwermachen, gegen ihre Peiniger vorzugehen. Aber eine Vergewaltigung ist auch dann ein Verbrechen, wenn Opfer und Täter sich vor der Tat gut kannten oder sogar miteinander geflirtet hatten.
Als die Jules in Sweet/Vicious schließlich mit ihrem eigenen Angreifer konfrontiert wird, lässt sie den Elektroschocker am Gürtel stecken und greift zu einer anderen Waffe. Sie presst den jungen Mann gegen eine Wand, hält ihm den Mund zu und redet. Sie erzählt ihm, wie es sich anfühlt, jeden Tag mit der schmerzhaften Erinnerung an die Tat leben zu müssen. Sie sagt, dass sie ihn dafür hasst und gleichzeitig darum beneidet, dass Geschehene einfach vergessen und mit seinem Leben weiterzumachen zu können.
Horrorfilme sind immer auch bildgewaltige Methaphern des gesellschaftlichen Klimas, in dem sie entstehen. 2018 kommt die Schauspielerin Camillie Keaton wieder als Jennifer Hills auf die Leinwand. In I spit on Your Grave: Deja Vu kehrt sie mit ihrer Supermodel-Tochter Christy an den Ort zurück, an dem vor vierzig Jahren alles begann. Wie eine Blutfehde gibt Hills den Racheauftrag die nächste Frauengeneration weiter. Möglich, dass sie sich dabei ein bisschen so fühlt wie jene ältere Feministinnen, die auf Demos Schilder mit der Aufschrift hochhalten: „I can’t believe I still have to protest this shit.“
Número Berlin, Spring/Summer 2018