Modebilder

Abschied vom Real Life

  1. Outfit of the Day

Beim Blättern in analogen Fotoalben fällt auf, wie stark die abgebildeten Personen von der Mode ihrer Zeit durchformt waren. Kleidungsstücke, Frisuren oder Brillenmodelle, die zum Zeitpunkt der Aufnahme alltäglich und unspektakulär erschienen, werden im Rückblick zu ästhetischen Entgleisungen, die sich kaum noch nachvollziehen lassen. Diese Erkenntnis sorgt oft für Heiterkeit, aber auch für Unbehagen:

Wie groß muss die Macht der Mode sein, dass sie Menschen derart manipuliert und dazu bringt, sich Hässliches, Lächerliches, Unkleidsames anzutun?

Eine gängige Personifizierung der Mode ist die der grausamen Herrin, die ihre Sklaven durch die Willkür der zu befolgenden Regeln erniedrigt.[1] Ebenso wie das Sprachbild des ‚fashion victim’, des „Modeopfers“, dient diese Vorstellung als Entlastungsmythos: Denn in Wahrheit wird die Mode nicht von Instanzen wie Presse oder Industrie diktiert, sondern war schon nutzergeneriert, lange bevor der Begriff aufkam. Die Rolle der Modebranche beschränkt sich darauf, eine Auswahl an Produkten für die individuelle Selbststilisierung anzubieten, die einen symbolischen Wert besitzen. Was zu einem bestimmten Zeitpunkt „in Mode ist“, wird aber von den Menschen bestimmt, die diese Produkte aus freien Stücken kaufen und tragen – also potenziell von allen.

Aber warum wird die mittlerweile vielbeschworene „Demokratisierung der Mode“ dann erst seit gut zehn Jahren als Prozess mit umstürzlerischem Potenzial begriffen?[2] Der Grund liegt nicht in den rätselhaften Mechanismen der Mode selbst, sondern in der Art der Modebilder.  Das Partizipative der Mode wurde in der Vergangenheit weitestgehend durch ein Modebild-Monopol der Wenigen verschleiert. Eine gebildete sowie ökonomisch gutgepolsterte Mode-Elite hatte „zwar die Darstellungsmittel verteilt, aber die Darstellungstechniken zurückbehalten“.[3] Aufwändig inszenierte Portraits luxuriös ausgestatteter Persönlichkeiten und hochästhetisierte Werbe- und Editorial-Aufnahmen, die Fotomodelle in teurer Designerkleidung zeigen, suggerierten die Existenz einer Reinform der Mode, die von Normalsterblichen und -verdienenden zwar imitiert, aber niemals erreicht werden konnte.

Die Digitalisierung, insbesondere die Smartphone-Fotografie und die Sozialen Netzwerke, haben das Feld der Modefotografie für Laien geöffnet. Damit wurde das Reservoir an Modebildern, auf das referiert werden kann, um ein Vielfaches erweitert. Die These von der „Demokratisierung der Mode“ durch das Internet meint eigentlich eine Demokratisierung der Modebilder, die „einerseits in der Medialität, AutorInnenschaft und Distribution und andererseits in der Art der gezeigten Stile liegt“.[4] Dadurch ist auch eine neue Form von Öffentlichkeit entstanden, die sich nicht nur verstärkt für Alltagsmode interessiert, sondern auch höhere Anforderungen an diese stellt.

In der kurzen Zeitspanne zwischen 2005 und 2015 entstanden neue Karriereoptionen, die adoleszente Ruhmeswünsche schnell und einfach zu erfüllen versprachen: Junge Menschen, die oft ohne formale Ausbildung ihre Outfits dokumentierten und im Netz teilten, stiegen in rasantem Tempo zur lästigen Konkurrenz für die etablierte Modekritik auf. Sie wurden wie Filmstars hofiert, saßen bei Modeschauen in der Front Row, erhielten teure Geschenke und Werbeverträge.

Es liegt auf der Hand, dass diese Entwicklung vor allem denjenigen missfiel, die sich zuvor zum Inner Circle zählen durften. Es häuften sich Unmutsbekundungen, welche in der Digitalisierung eine Gefahr für die Mode ausmachten oder sogar verkündeten, die Sozialen Medien hätten die Mode getötet.[5] Zu den Hauptkritikpunkten zählte der Vorwurf, die Flut dilettantischer Modebilder im Netz verflache die Bedeutung der Mode als ernstzunehmendes Handwerk und relevante Kulturäußerung zu einem geschmacklosen Zirkus von „Modeclowns, die […] ihre sexy Clownposen auf Instagram machen.“[6]

Das Posieren in modischer Aufmachung für Fotos, das bereits von früheren Generationen mit großem Enthusiasmus betrieben und als harmloses Hobby oder juvenile Selbstfindungsstrategie noch liebevoll belächelt wurde, erhielt durch die stark erweiterte Sichtbarkeit der entstandenen Bilder eine bedrohliche Ausrichtung: Digitale Modebilder wurden zum beunruhigenden Auswuchs einer sinnentleerten und sich ständig verschärfenden „Selbstdarstellungsökonomie“[7]stilisiert, als deren Folge die Modekonzerne in immer kürzeren Abständen immer mehr minderwertige Artikel auf den Markt schmeißen würden. Kurz: Fast Fashion und Influencer, so der beliebte Vorwurf, zerstörten die Mode ästhetisch und wirtschaftlich, mit verheerenden Folgen für Gesellschaft und Umwelt.

Stirbt die Mode damit an jenen Bedingungen, die sie zu Beginn der Moderne erst großgemacht hatten? Stirbt sie an Individualisierung, Industrialisierung und Massenmedialisierung? Oder sind das nur die Unkenrufe einer Branche, die ihre Felle davon schwimmen sieht und die die Respektlosigkeit und Kreativität einer technisch versierten Jugend fürchtet?

Wenn eine Beschäftigung der Mode innerhalb der digitalen Bildkultur nicht lediglich nach Beweisen eines kulturellen Abstiegs fahnden, sondern diese als „neue Phase der Kulturgeschichte“[8] begreifen will, dann stehen eine Reihe von Grundannahmen auf dem Prüfstand, die die Mode als Ganzes umfassen.

Als Forschungsgegenstand wird die Mode zumeist als chronologische Abfolge von Stilen verstanden, die in einem erkennbaren Zusammenhang mit sozialen, kulturellen und technologischen Veränderungen stehen. Damit wird ihr einerseits eine Kontinuität unterstellt, die paradoxerweise gerade in der Beständigkeit des Wandels besteht[9] – sowie andererseits eine zeitliche Linearität, die im Zusammenspiel von sich immer stärker ausbreitendem Individualismus und Kapitalismus zu einer immer schnelleren Abfolge und zugleich größeren Varianz der Stile führt. Folgt man dieser Logik, wären die digitalen Modebilder nichts weiter als der dekadente Wurmfortsatz einer seit mehr als 200 Jahren andauernden Entwicklung, die kurz vor dem Exitus steht: das Rokoko des Konsumzeitalters.

Dem gegenüber steht die Annahme eines radikalen Bruchs der Netzkultur mit den Bedingungen der Moderne.[10] Dann würden die digitalen Modebilder die Art, wie kulturelle und soziale Kategorien in Selbststilisierungsprozessen sichtbar werden, nicht nur verschärfen, sondern grundlegend verändern. Es muss daher die Frage gestellt werden, ob die neuen Modebilder auch andere Körperbilder und damit andere Individuen generieren.[11]

[1] „[…] so hässliche und widrige Dinge sind manchmal modern, als wollte die Mode ihre Macht gerade dadurch zeigen, dass wir ihretwegen das Abscheulichste auf uns nehmen.“ Simmel, Georg (1911): Die Mode, in: Ders.: Philosophische Kultur. Über das Abenteuer, die Geschlechter und die Krise der Moderne. Gesammelte Essais. Wagenbach, Berlin 1983. S. 33

[2] Vgl. Monica Titton (2010): Mode in der Stadt: Über Street-Style-Blogs und die Grenzen der Demokratisierung von Mode, Texte zur Kunst, 78/2010, S. 88-99

[3] Gebauer, Gunter (1982): Ausdruck und Einbildung. Zur symbolischen Funktion des Körpers. In: Kamper, Dietmar/Wulf, Christoph (Hg.): Die Wiederkehr des Körpers, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 321

[4] Eismann, Sonja (2015): An den Rändern der Hauptstraße. Street Style Blogs zwischen kommunikativem Kapitalismus und dissidenter Artikulation, in: in: Gürtler, Chroista/Hausmacher, Eva (Hg): Kleiderfragen. Mode und Kulturwissenschaft, Bielefeld : transcript , S. 183.

[5] Vgl. Ly Edelkoort (2014): Anti_Fashion Manifesto. Online abrufbar unter: edelkoort.com/2015/09/anti_fashion-manifesto/

[6] A.P.C. Gründer Jean Touitou im Interview mit dem SZ-Magazin, Nummer 36, 6. September 2019, S. 54

[7] Vgl. Heinzlmerier, Bernd (2013): Performer, Styler, Egoisten. Über eine Jugend, der die Alten die Ideale abgewöhnt haben, Berlin: Archiv der Jugendkulturen, S. 179

[8] Ullrich, Wolfgang (2018): Selfies, Berlin:Wagenbach, S. 66

[9] Vgl. Esposito, Elena (2004): Die Verbindlichkeit des Vorübergehenden: Paradoxien der Mode. Suhrkamp, Frankfurt a.M.

[10] Vgl. Poster, Mark (1995): The Second Media Age, Cambridge: Polity Press, S. 93

[11] Vgl. Angerer, Marie-Luise (1997): Medienkörper: Zur Materialität und Medialität des Körpers, in: Hepp, Andreas/Winter, Rainer (Hg.): Kultur – Medien – Macht: Cultural Studies und Medienanalyse, Opladen: Westdeutscher Verlag, S. 264