Hole

Live Through This

Es gibt eine Szene in dem Dokumentarfilm Kurt & Courtney aus dem Jahr 1997, in der Regisseur Nick Broomfield Courtney Loves Vater Hank Harrison fragt, ob er zur Disziplinierung seiner Teenager-Tochter wirklich scharfe Rottweiler eingesetzt habe. Nein, das stimme so nicht, antwortet Hank, es waren Pitt Bulls.

Drei Jahre zuvor, im April 1994, war mit Live Through This das zweite, großartige Album von Courtneys Band Hole erschienen und man kann sich immer noch fragen, was wohl passiert wäre, hätte sich ihr Ehemann Kurt Cobain nicht sieben Tage vor dem Veröffentlichungstermin das Leben genommen.

Vielleicht wäre Courtney dann das, was es bis heute nicht gibt: ein echter weiblicher Rockstar. Eben keine, die auf Indie-Bühnen sensibel rumklampft und auch keine, die Choreografien im Glitzerbody vorführt. Stattdessen ein veritables Monstrum mit Vulva und Gitarre, deren jede noch so abgefuckte Lebensäußerung die Imagination und die glühende Verehrung ihres Publikums befeuern. Vielleicht hätten diverse Festival-Organisatoren dann heute keine Ausrede mehr für ihre all-male-lineups.

Es kam anders.

Mag sein, dass Courtneys Vater Hank Harrison der erste Mensch in ihrem Leben war der fand, ihr aufmüpfiges Ego gehöre ordentlich zurechtgestutzt. Sicherlich war er nicht der letzte.

Songs wie Miss World, Doll Parts oder Asking For It dokumentierten gut 20 Jahre vor #metoo die Wut und den Zynismus mit denen Love der Objektifizierung und sexuellen Gewalt begegnete, mit denen sie sich als Frau in der Musikbranche jeden Tag herumschlagen musste. Nur war das damals noch kein Thema fürs Feuilleton.

Stattdessen zeigte die öffentliche Verhandlung der Causa Courtney lehrstückartig, wie unterschiedlich das Rock-Business dieselben Qualitäten bei Männern und Frauen bewertet. Kurt und Courtney spielten beide in Bands, nahmen Drogen, galten als sozial inkompetent und waren Eltern einer Tochter. Aber während Kurt noch zu Lebzeiten als verschrobenes Genie verehrt wurde, dem man alles unter Hinweis auf seine verletzte Seele verzieh, war Courtney die Hexe, die Schlampe, das hässliche ungeliebte Kind, das weder vor Intrigen noch plastischer Chirurgie zurückschreckte, um sich mit ausgefahrenen Klauen widerrechtlich einem Platz im Pop-Universum zu sichern. Dann gibt es noch die Courtney-Truther, die ihr den Mord an Cobain zutrauen und nach Beweisen suchen. Eins ist klar: Knast reicht als Bestrafung für eine solche Frau nicht aus, man müsste schon einen Scheiterhaufen errichten.

Dass Courtney Love bis heute weder bankrott noch offiziell für verrückt erklärt worden ist, muss man als Teilerfolg werten. Schade ist nur, dass sie seit 20 Jahren keine richtig gute Platte mehr gemacht hat.

Erschienen in Spex Nr. 384/Jan. 2019