Gesichtschoreografie

Wir lachen uns tot

Es gibt einen neuen Trend in der Gesichtschoreografie: Die Menschen lächeln auf Fotos nicht mehr, sie schütten sich aus vor Lachen. Lustig ist das leider nicht.

Elektronische Vermählungsnachrichten sind ja so eine Sache. Auf ziemlich unsubtile Weise vermitteln sie den Adressaten, dass man sie zwar nicht als wichtig genug für eine Hochzeitseinladung erachtete, aber auch nicht für so unwichtig hält, ihnen dieses lebensverändernde Ereignis gänzlich zu vorzuenthalten.

Unter der unvermeidlich launigen Betreffzeile „Wir haben es getan!“ lösen solche Mails üblicherweise eine Mischung aus Skepsis und Neugier aus. Soso. Da haben also zwei Menschen den Bund fürs Leben geschlossen. Etwas, dass zumindest von einem gewissen Traditionsbewusstsein zeugt und das man nach landläufiger Meinung erst nach reiflicher Überlegung und nüchterner Abwägung aller Eventualitäten tun sollte.

Immer häufiger vermitteln die mitgeschickten Fotos auf den ersten Blick jedoch eine ganz andere Botschaft. Die Bilder zeigen beispielsweise ein elegant ausgestattetes Brautpaar kurz vor dem Topmoment der Hochzeit. Ihre mit champagnerfarbener Spitze umkränzte Hand hängt ausgestreckt und mit abgespreizten Ringfinger in der Luft, während seine das Schmuckschächtelchen umklammert. Beide werfen den Kopf in den Nacken und schütten sich aus vor Lachen. Was ist der Auslöser dieser ekstatischen Heiterkeit? Ring vergessen? Bräutigam verwechselt? Ist die Hochzeit am Ende nur ein aufwändig inszenierter Hoax?

Wahrscheinlicher ist, dass der fotogene Lachanfall als Motiv ebenso sorgfältig ausgewählt wurde wie die Trendblume Trommelstöckchen fürs Brautbouquet: Das ekstatische Lachen ist der neue Trend in der Gesichtschoreografie. Nicht nur Brautpaare, auch Einzelpersonen, ganze Familien und immer häufiger sogar Manager und Politiker lassen sich auf offiziellen Portraits neuerdings so ablichten, als wäre irgendetwas gerade kreischend komisch. Nur was?

Was für ein Gesichtsklischee

Lachen ist gesund. Es hilft, Stress und Bluthochdruck abzubauen, trainiert die Muskulatur und versorgt den Körper mit Sauerstoff. Mediziner meinen, wir lachen viel zu selten. Deshalb gibt es Lach-Yoga-Kurse und Lach-Camps in denen verhärmte Großstädter für viel Geld ihr inneres Kind wecken sollen. Wer laut lacht, wirkt offen, sympathisch, spontan und ein bisschen unkonventionell.

Ebenso wie das charmante Erröten ist das lauthalse Lachen aber eine spontane Reaktion auf etwas und kein Ausdruck an sich, wie etwa das höfliche Lächeln. Wird der ausbündige Frohsinn zu Inszenierungszwecken anlasslos und planvoll hergestellt, verkehrt er sich in sein Gegenteil: Lebensfreude gefriert zur wohlkalkulierte Pose, das Lachen wird zum Gesichtsklischee.

Wir kennen solche Bilder seit Langem aus der Werbung. Grinsende Fratzen, die uns bedeuten sollten, welche Produkte wir dringend benötigen um in einen nimmer endenden Zustand rauschhafter Glückseligkeit einzutreten. Frauen schütten sich beim Salatessen aus vor Lachen, die Belegschaft schmeißt sich am Konferenztisch weg, das Puzzlespiel im Familienkreis erscheint als ultimative Supergaudi.

Die größte Lüge der Fotografie ist, dass sie die Wirklichkeit abbildet, so wie sie ist. Wir wollen daran glauben, dass das, was wir mit unseren eigenen Augen sehen können auch existiert. Dabei konsumiert die Mediengesellschaft ohne Ende Gesichter, die sie selbst produziert. Die Werbung bedient ihr Publikum mit einer Hochglanzrealität, die millionenfach als kopiert wird, auf Homepages, Facebook und Instagram.

Die digitale Technik hat die Bildproduktion zugleich auf bestürzende Weise vereinfacht und verkompliziert. Wir stilisieren uns selbst zu Ikonen, zu Stars in unserem eigenen Film, den die ganze Welt betrachten kann. Damit steigt der Druck, zu performen, abzuliefern.  Vielleicht sind wir nicht so schön, reich, erfolgreich oder glücklich wie die Menschen dort draußen aber wir können zumindest für einen ewigen Moment lang so aussehen. Längst hat sich damit auch unsere ganz private Erinnerungskultur professionalisiert, ist zum Gegenstand modischer Selbstbespiegelung geworden.

Das Private ist kein Rückzugsort mehr, es ist zur Kampfzone geworden. Ein Safe Space mit Wänden aus Glas. Wir spielen die uns herzeigbare Rolle und üben dabei jeden Handgriff so aus, als würden uns Tausende gebannt dabei beobachten. Normal dimensioniertes Glück, früher nannte man das Zufriedenheit, reicht nicht mehr aus. Nicht nur unsere Körper, unsere Ernährungsgewohnheiten und unsere Wohnungseinrichtung müssen superoptimiert werden, sondern auch unser Seelenzustand.

In einer Welt, in der uns Tag für Tag neue Schrecklichkeiten ereilen, scheint das panische Lachen fast schon wie eine Trotzreaktion. Wir sinken nicht! Uns geht es supi! Das private Glück wird zur Leistungsschau, zum Statussymbol. Das lauthalse Lachen zu einer postfaktischen Befindlichkeitsgrimasse

Es hat Gründe, warum Models für ihren Job gut bezahlt werden

Unsere Bilder werden noch hier sein, wenn wir es nicht mehr sind. Kein Wunder also, dass dem fototauglichen Arrangement der Gesichtszüge von jeher große Wichtigkeit zukam.

Wie wir uns der Nachwelt gerne präsentieren, ist nicht erst seit heute Trends unterworfen. Lange Zeit galt schon das Entblößen der Kauleiste als zutiefst unangemessen. In der Pionierphase der Portraitfotografie war der gestrenge, je nach Typus auch leicht melancholische Blick in die Kamera fester Standard.

Ein Blick ins Familienalbum zeigt eine historische Hierarchie der Happiness: vor 100 Jahren galten sauertöpfische Mienen auch bei freudigen Anlässen als würdevoll, vor 50 Jahren rang man sich ein Lächeln mit geschlossenen Lippen ab, dass in den Folgejahren immer weiter in Richtung Honiggkuchenpferd eskalierte.

Kulturhistoriker verweisen als Grund für das bierernste Gepose unserer Vorfahren gerne auf ihre miese Mundhygiene. Gebissruinen und Zahnfleischfraß hätten die Lust am Grinsen gedämpft. Auf der anderen Seite steht fest, dass die steigende Beliebtheit von Zahnbleaching und Veneers, die aus Amerika nach Europa schwappt, der aggressiven Grinsekatzen-Ästhetik Vorschub leistet. Wer Unsummen in die Beißer investiert, will sein Hollywood-Lächeln schließlich auch öffentlichkeitswirksam inszenieren.

Eine naheliegende und dennoch oft übersehene Erklärung für den langewährenden Verzicht auf exaltierte Mimiken beim Fotografieren ist jedoch die Tatsache, dass es einfach keinen Spaß macht.  Es hat Gründe, warum Models für ihren Job gut bezahlt werden. Erzwungene Dauerheiterheit ist harte Arbeit. Jeder, der schon mal gebeten wurde für ein Foto auf Kommando auch nur strahlend zu lächeln weiß, wie quälend das sein kann. Es dauert nur wenige Sekunden und der zunächst bereitwillig eingenommene Gesichtsausdruck gefriert zur unerträglichen, Gesichtsmuskelkater auslösenden Grimasse.

Nur Idioten und Betrunkene lachen

Hinzu kommt, dass das offene Lachen durchaus nicht immer als sympathisch oder gar erstrebenswert betrachtet wurde. Nicht umsonst klingen geläufige Ausdrücke wie Lachkrampf, Lachanfall, sich schief, krumm, kaputt, krank oder totlachen eher nach etwas, was man unbedingt vermeiden sollte.

Das lauthalse Lachen entstellt das Gesicht, die Züge entgleiten zu einer grotesken Fratze. Die Augen, die in der traditionellen Portraitfotografie als Sitz der Seele im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen, verengen sich zu Schlitzen. Stattdessen dominiert der aufgerissene Schlund und die freie Sicht auf das rohe innere des Körpers. Zahnfleisch, Gaumen und Zäpfchen sagen Hallo, fast hat man das Gefühl, man könnte noch einen kurzen Blick auf die letzte Mahlzeit des Abgebildeten erhaschen.

Lange Zeit galt es als ausgemachte Sache, dass in der Kunst ebenso wie im Leben nur Idioten und Betrunkene laut lachen. Bewundernswert waren dagegen Personen, die ihre Emotionen ebenso wie seine Gesichtszüge unter strikter Kontrolle behielten.

Damit schließt sich der Kreis: ein befreiendes Lachen ist der Kontrollverlust, den wir einer von materiellen Zwängen und existentiellen Unsicherheiten beherrschten Zeit so dringend brauchen. Wer es aber für nötig hält, dieses Ereignis aufwändig zu inszenieren und für die Nachwelt festzuhalten, unterwirft sich einer Werbelogik, die maximal unfrei macht.

Am Ende ist ein Lachen ist immer nur so sympathisch, wie sein Anlass.  So lange man nicht weiß, worüber die Menschen auf einem Bild sich gerade einen Ast freuen, ist Misstrauen angebracht.  Schließlich könnte es ja sein, dass gerade ein Katzenbaby unter einer Betonplatte begraben wurde oder Mario Barth im Berliner Olympiastadion auftritt.

Zeit Online, 19. Februar 2018