Botox

Eine glatte Lüge

Botox gilt als Eingriff für Eitle und Dumme. Dabei ist die Forderung, gefälligst in Würde zu altern, nur eine weitere Schikane für Frauen ab 40. Eine Verteidigung.

Der Abstieg passiert schnell und unerwartet.  Mit Mitte Dreißig stehen Frauen im Zenit ihrer sexuellen Anziehungskraft. Ein paar Jahre später interessiert sich keine Sau mehr dafür, ob sie auf einer Party den Raum durchschreiten oder es bleibenlassen. Die magische Grenze liegt ziemlich genau bei vierzig Jahren.

Mit vierzig Jahren muss eine Frau sich entscheiden: Kuh oder Ziege? Dahinter steckt die simple Tatsache, dass Fettgewebe aufpolstert. Die Frage lautet daher eigentlich: Gesicht oder Arsch? Ersteres soll möglichst wenig Falten aufweisen, letzterer möglichst handlich daherkommen. Wer beides will, muss Grünzeug fressen, den erschlaffenden Leib mit Fitness stählen und sich mit Botox die verknitterte Visage ausbügeln lassen. So wie es 25.000 Frauen in Deutschland jedes Jahr tun. Eine davon bin ich.

Sie fragen sich: Wo bleibt das Natürliche, das Allgemein-Menschliche? Die Würde des Alters, die Wertschätzung eines gelebten Lebens? Nun, das sind edle Gedanken, nur helfen sie wenig, wenn man an einer überfüllten Theke einen Drink bestellen möchte.

Ein straffes Gesicht sichert Aufmerksamkeit. Altersanzeichen wirken bei Frauen wie eine unfreiwillig getragene Tarnkappe.

Verstehen Sie mich nicht falsch: Es ist eine Zumutung, als Frau immer schön, jung und elastisch sein zu sollen. Noch perfider ist allerdings die Forderung, diesen Zustand auf ganz natürlich Weise und ohne den Einsatz wirksamer Hilfsmitteln herzustellen.

Botox ist ein zufriedenes Fuck Off

Männer sagen gerne, dass sie natürliche Frauen mögen. Im Klartext heißt das: Männer mögen Frauen, die beim Essen reinhauen wie ein Kerl und dabei schlank wie ein Nymphe sind. Männer mögen Frauen, die sich nicht schminken, deren Augen aber dennoch faszinierend funkeln und deren Lippen trotzdem verführerisch locken. Und Männer mögen Frauen, die sich niemals Botox spritzen lassen würden. Falten haben diese Frauen natürlich keine und wenn doch, dann nur diese zauberhaften Lachfältchen, die ihre Augen wie ein Strahlenkranz die Sonne umgeben. Zornesfalten, diese steil zwischen den Augenbrauen aufragenden Ausrufezeichen der Unzufriedenheit, haben diese Frauen nicht. Denn sie sind innerlich so verdrahtet, dass sie niemals negative Gefühle wie Wut, Angst oder Verzweiflung empfinden. In ihnen ist nur Frische, Leichtigkeit und Licht. Manchmal tanzen diese Frauen spontan nackt durch ihre geräumigen Altbauwohnungen. Einfach nur, weil sie sich so verdammt wohl mit sich und ihren Körpern fühlen.

Mag sein, dass solche Frauen irgendwo existieren. In meinem Bekanntenkreis jedoch eher nicht. Die Frauen, die ich kenne, arbeiten zu viel. Manche von ihnen haben Kinder, andere nicht. Wenn sie in einer Beziehung leben, erledigen sie auch den Großteil der Hausarbeit noch mit, ohne daraus ein Riesending zu machen. Im Job müssen sie immer besser, kompetenter, schlauer und fleißiger sein als ihre männlichen Kollegen und werden trotzdem oft schlechter bezahlt. Solche Frauen sind oft wütend und müde.

Und sie lassen sich Botox nicht spritzen, um jünger auszusehen. Sie lassen sich Botox spritzen, um entspannter auszusehen. Um nicht als Resting Bitchface bezeichnet zu werden. Wie neuerdings weibliche Gesichter beschrieben werden, die auch im Ruhezustand biestig und verkniffen wirken.

Während Männer in Machtpositionen durchaus ernst oder streng dreinblicken dürften, wird dies Frauen jeglichen Erfolgsgrades nicht zugestanden.

Das kann im Alltag sehr anstrengend sein. Botox nimmt ihnen die Verantwortung für den eigenen Gesichtsausdruck ein Stück weit ab. Botox ist ein Nervengift, dass Muskeln lahmlegt. Dadurch werden nicht nur die bösen Zornesfalten zum Verschwinden gebracht, sondern das Ausbleiben des Stirnrunzelns signalisiert auch der Amygdala, die in unserem Hirn für die Emotionen zuständig ist: Alles in Ordnung! Stimmung super! Das kann ungemein hilfreich dabei sein, aufgeblasenen Egos kühl die Stirn zu bieten. Botox ist ein zufriedenes Fuck Off.

Würde ist ein großes Wort

Das, was uns als Natürlichkeit verkauft wird, ist eine Fabrikation bis hin zu einer dreisten Lüge. Literweise Wasser trinken und früh zu Bett gehen haben noch keine Falte der Welt verschwinden lassen. Ich wage die These, dass in den Medien keine ungebotoxten Frauen über Vierzig vorkommen. Die Tatsache, dass kaum eine dazu stehen mag zeigt, wie schwierig der Spagat zwischen sozial erwünschten Aussehen und sozial erwünschtem Verhalten immer noch ist. Die Verknüpfung von Moral und Kosmetik ist ein Relikt aus dem 19. Jahrhundert, als Frauen dazu angehalten wurden, sich zur Durchblutungsförderung auf die Lippen zu beißen und in die Wangen zu kneifen, weil nur Huren Rouge und Lippenstift benutzen.

Natürlichkeit kommt komischerweise immer dann ins Spiel, wenn Frauen wieder irgendwas nicht sollen: laut sein, sich durchsetzen, eine eigene Meinung, Sexualität oder Karriere haben. Als für Frauen natürlich gelten dagegen typische Schwachmaten-Eigenschaften wie Anschmiegsamkeit, Zurückhaltung und Altruismus, von denen alle anderen außer ihnen selbst profitieren.

Frauen sind es seit Jahrhunderten gewohnt, ihren Körper als Material zu betrachten, als gestaltbare Masse, als Werkzeug, dem durch ein striktes Regime an Disziplinierungsmaßnahmen wie zupfen, epilieren, waxen, cremen und beklopfen beizukommen ist. Von Natürlichkeit ist da schon lange keine Spur mehr. Zu verlangen, damit einfach aufzuhören und sich über das eigene Aussehen mal nicht mehr so viele Gedanken zu machen, ist nicht nur komplett unrealistisch, es ist auch herablassend. Weil es suggeriert, dass ein positives Körpergefühl sich so einfach überziehen ließe wie ein T-Shirt mit der Aufschrift „Feminist“.

Die wirklich wichtige Frage, die sich Frauen an ihrem 40. Geburtstag stellen müssen, ist deshalb:  Willst du das Aschenputtel sein oder eine der bösen Stiefschwestern? Willst du andere ewig auf dir rumtrampeln lassen, in der vagen Hoffnung, dass irgendein Prinz in deinem Schuh die Gestalt deiner wertvollen Seele erblickt? Oder nimmst du dein Schicksal lieber selbst in die Hand und pfeifst auf eine Natürlichkeit, die ohnehin nie eine war?

Würde ist ein großes Wort. Es klingt nach Ruhe und Gelassenheit, aber auch nach Rückzug und Introvertiertheit. Die Forderung, in Würde zu altern ist eigentlich eine Zurechtweisung: Wer glaubst du eigentlich, dass du bist? Gib dich gefälligst mit dem Platz in der zweiten Reihe zufrieden!

Was die Verwaltung meines Aussehens angeht, bin ich Pragmatikerin.

Mit Schönheitsidealen verhält es sich so ähnlich wie mit dem Kapitalismus: Ich bin dagegen. Doch so lange es mit der Revolution noch nicht so weit ist, hätte ich dann doch lieber mehr Geld als weniger.

Wir leben in einem durch und durch oberflächlichen Zeitalter, dass von jugendlichen Körpern geradezu besessen ist. Und ich bin froh, mich nicht auf meine Naturanlagen verlassen zu müssen, sondern selbst entscheiden zu können, wie ich aussehen möchte. Eine glatte Stirn ist ein Produkt, dass man sich kaufen kann wie ein paar Schuhe. Welche Investition sinnvoller ist, entscheidet jede für sich selbst. Mit vierzig Jahren haben Frauen noch viel vor sich. Es gibt Dinge, die wir noch erledigen müssen. Botox kann und dafür wappnen. Wir sind noch nicht bereit für die Unsichtbarkeit.

Zeit Online, 26. Juni 2017