Abgrund & Oberfläche
Rüschen in der Röhre
Früher haben alle immer darüber geredet, was am Abend vorher im Fernsehen kam. Gegenwärtig teilt sich die Nation in individualisierte Glotz-Tribes. Aber wehe, man ist nicht bei derselben Staffel. Fernsehen fördert die soziale Kommunikation, während Streaming sie wirkungsvoll verhindert. Heute gilt man als Exot, wenn man ganz normal das guckt, was halt im Fernsehen kommt. Dabei ist das nur wirtschaftlich: die GEZ-Kohle muss gnadenlos weggeglotzt werden, damit man den Sendeanstalten nichts schenkt.
Im Gegenzug erfährt man dann etwas darüber, wie diese sich eine konsensfähige Normrealität im Jahr 2018 vorstellen. Das TV-Programm ist strikt nach Geschlechtern getrennt, einzelne Sendungen lassen sich grob in Männer-Dings (Muskeln, Autos, Fleisch essen) und Frauen-Bums (Dünnsein, Mode, Salat essen) aufteilen.
Ausnahmefälle, bei denen wieder eine im kollektiven Taumel vereinte Glotz-Gemeinschaft vor den Geräten sitzt und das dort Gesehene anschließend fleißig bespricht, werden immer seltener. In diesem Jahr gab es bisher zwei top-verbindende Fernsehmomente, denen ein gewisses Gendering wiederum nicht abgesprochen werden konnte: Deutschland gegen Südkorea und Meghan Markle gegen Prinz Harry. Unnötig, hier noch mal zu betonen, welches Event mehr Begeisterung auszulösen vermochte.
Auch Abseits des Hochadels sind Bräute gerade eine ziemlich große Sache. Im Fernsehen laufen zeitgleich diverse Reality-Braut-Formate im Namen wie Zwischen Tüll und Tränen, Mein Traum in Weiß oder Brautalarm: Rock’n’ Roll im Spitzenkleid. Das ZDF kann mit dem Traumschiff-Spin-Off Kreuzfahrt ins Glück punkten.
In der Mode bildet das Brautkleid traditionell den spektakulären Abschluss eines Haute-Couture-Defilees. Es ist das Meisterstück, für das alles aufgefahren wird, was geht. Erwartungen an ein Brautkleid sind generell hoch. Bei den Braut-Formaten im TV ist das dress reveal immer der spannendste Moment. Eine ganze Reihe von Sendungen spielt daher ausschließlich in Brautmodengeschäften. Für die Fernsehbräute ist das Brautkleid meistens das einzige wirklich teure Kleid, dass sie sich in ihrem Leben kaufen werden und ist daher hochemotional aufgeladen. Es fungiert als Wunschmaschine, die ein imaginiertes Leben in eine 3D-Vision aus weißem Stoff übersetzen soll.
Aber auch, wer keine Eheschließung plante, durfte sich in diesem Sommer als romantisches Blumenmädchen ausstaffieren. Die Schaufenster der Billigmodedealer waren voll mit Rüschenröcken, Rüschenblusen und bodenlangen Rüschenkleidern. Hauptsache Rüsche.
Kein Detail bringt die Idee verspielter Weiblichkeit so auf den Punkt, wie die Rüsche. Sie ist ein reizendes Geraffel, leicht und fluffig, hübsch anzusehen und dabei total überflüssig.
Selbst militanteste TV-Abstinenz ist keine Lösung: im Frühjahr starteten die Streaming-Dienste mit der Neuauflage des ultimative Rüschendramas Picknick am Valentinstag. Bereits 1975 löste der Originalfilm einen weltweiten Rüschenhype aus. Romantische Rüschenkleider mit Streublümchen kamen in Mode, später dann sollte der Rüschenkragen zum Business-Kostüm dessen Machtanspruch abmildern und daran erinnern, dass in hinter dem power dressing immer noch ein empfindsames Weib steckt. Den Gipfel des Rüschenwahnsinns stellte Dianas Brautkleid bei der Hochzeit mit Prinz Charles im Jahr 1981 dar. Ehetechnisch allerdings ein klares fail.
In der High Fashion findet man die Rüsche fast nur noch als ironisches Zitat. Der cutting edge Designer Demna Gvasalia erlaubte sich in den letzten Saisons gerne den Scherz, funktionale street wear mit Rüschen zu verzieren und ging anschließend dazu über, Rüschenkleider mit überlangen Ärmeln aus Seide mit trashigen Emoji- oder Logo-Prints zu schneidern.
Pech nur, dass das zweifelsohne wichtigste Brautkleid des Jahres durch radikale Rüschenlosigkeit bestach. In dem Moment, als Meghan Markle in einer Kreation der Céline-Chefdesignerin Clare Waight Keller die Stufen zur St. George Chapel erklomm, hielt die ganze Welt den Atem an. Und als es dann ganz still war, hörte man ein leises Ritsch-Ratsch. Es war das Geräusch von verzweifelten Brautmodenverkäuferinnen, die Rüschen von Hochzeitskleidern abtrennten.
Spex No. 382, September/Oktober 2018