RuPaul’s Drag Race
Schön doof?
Von wegen. Schönmachen ist ein Akt der Selbstliebe. Statt modebegeisterte Frauen zu belächeln, sollten wir erkennen: Die Lust am Schmücken ist ein elementares Bedürfnis.
Meine Lieblingssendung ist RuPaul’s Drag Race. In jeder der mittlerweile zehn Staffeln konkurriert eine Gruppe von jungen bis mittelalten Männern darum, die überzeugendste, die umwerfendste Frau zu sein.
Und nein, die Wettbewerbsdisziplinen lauten nicht Yoga machen, Kinder kriegen oder den Weltfrieden zu organisieren. Alles was zählt, ist die Performance auf dem Laufsteg.
Sie ist der Höhepunkt, auf den jede Episode hin ausgerichtet ist. Vorher sieht man die Männer beim Entwerfen und Nähen ihrer Outfits, beim Anziehen und Schminken. Mit Hilfe eines Arsenals an Zirkustricks und Illusionen werden da Visionen von Weiblichkeit geschaffen: Ellenlange Wimpern und noch längere Beine, rote Münder, glänzende Locken, Aufpolsterungen und Einschnürungen.
Auf dem finalen Runway werden diese Kreationen als Mini-Dramen von wenigen Sekunden aufgeführt, durchgespielt und anschließend bewertet. Es fließen dann oft Tränen. Bei den Kandidaten, die ihre Koffer packen müssen, weil sie in der Frauenrolle abgeschmiert sind.
Mit ihnen kann ich mich am stärksten identifizieren. Was mit an der Sendung jedoch am besten gefällt ist die Tatsache, dass keiner der Teilnehmer, zu keinem Zeitpunkt auch nur einen Hauch von Zweifel daran lässt, dass es total super ist, eine Frau zu sein.
Gefallsüchtige Hohlbirnen
Nun mag man argumentieren, dass High Heels und ein paar Meter Glitzerstoff noch keine Frau machen. Oberflächlicher Tand, nicht würdig eines Wesens mit Herz und Hirn! Man könnte auch sagen, dieses ganze Mann-Frau-Ding nervt sowieso gewaltig. Warum sollte nicht jede und jeder tun oder lassen, was sie oder er möchte und alle anderen halten dazu den Schnabel? Doch ganz so einfach ist das leider nicht. Weil das Spiel im echten Leben auch dann weitergeht, wenn man keine Lust mehr darauf hat.
Wer sich schon mal die Kommentarspalten jeden beliebigen Artikels durchgelesen hat, in dem eine biologische Frau sich erdreistet, über das Frausein zu schreiben weiß, mit welch harten Bandagen die Frontlinien des Geschlechterkriegs auch heute noch gekämpft wird.
Frauen seien bescheuerte Heulsusen, die um jeden Preis Opfer sein wollten, und dafür auch noch den armen Männern die Schuld geben. Männer seien nichts als privilegierte Flachpfeifen, die ihre Pfründe verteidigten wie Dreijährige im Sandkasten ihre Lieblingsschaufel.
Weitgehender Konsens zwischen den Streitparteien herrscht jedoch in der Frage, das aufgetakelte Frauen das Letzte sind. Unnatürliche, gefallsüchtige Hohlbirnen ohne Sinn und Geschmack. Verabscheuenswürdige Sklavinnen eines Schweinesystems, dass Frauenkörper wie Billigschrott auf dem Grabbeltisch behandelt.
Na, wieder Kriegsbemalung aufgelegt?
Zwar hat sich mittlerweile herumgesprochen, dass man niemanden aufgrund seines Aussehens diskriminieren darf, dafür gibt es sogar eigene Fachwörter wie Lookism oder Body Shaming. Für Frauen, die sich über dieses Aussehen augenscheinlich schon mal ein, zwei Gedanken gemacht haben, gilt das jedoch nicht. Die Vorstellung, das Erscheinungsbild eines Menschen ließe etwa Rückschlüsse auf seinen Charakter oder seine Fähigkeiten zu, wird an anderer Stelle empört zurückgewiesen. Bei Frauen aber, die sich für Kosmetik oder – igittigitt! – Mode interessieren, gilt es als ausgemachte Sache. Hier darf weiter in frei Schnauze herumpsychologisiert und über mögliche geistige oder emotionale Defizite spekuliert werden. Frauen, die sich schminken sind eben doof, da helfen keine Pillen!
Frauen, die sich viel auf ihre Intelligenz zugutehalten oder die beruflich weiterkommen wollen, lehne es daher oft demonstrativ ab, sich mit Mädchenkram wie Nagellack oder Strumpfhosen zu befassen. Farblos, mit strähnigem Haar und in vernünftigem Schuhwerk schlurfen sie des Weges und wollen ihrer Umwelt damit beweisen: Seht her! Ich Mein Körper ist lediglich eine Haltevorrichtung für meinen Kopf, in dem ich mich tagein tagaus mit wichtigen Problemen des Weltgeschehens befasse!
Make-Up und schöne Kleider wurden schließlich nicht erfunden, um Frauen zu unterdrücken und klein zumachen. Die Lust, sich zu Schmücken zählt zu den elementaren Bedürfnissen des Menschen. Jede Kultur kennt ihre eigenen Techniken, Traditionen und Rituale der Aussehensveränderung. Das Bemalen, Dekorieren und Behängen der menschlichen Oberfläche ist ein komplexes Ausdruckssystem, das dem geneigten Betrachter nuancierte Bedeutungen zu vermitteln mag. Ebenso wie die Kunst, Philosophie oder Musik ist die Mode ein Projekt, bei dem es um letztendlich um Wahrheit geht. Darum, etwas zu zeigen, was sonst verborgen bliebe. Oder etwas, das sein könnte.
„Na, hast du wieder Kriegsbemalung aufgelegt?“, fragte mich mein Vater früher immer, wenn ich mich zum Ausgehen zurechtgemacht hatte. Natürlich hat er das nicht als Kompliment gemeint. Trotzdem konnte ich an dem Begriff nie etwas Beleidigendes finden, er gefiel mir irgendwie. Solchen Auftritten waren unzählige einsame Stunden vor dem Spiegel vorausgegangen, während derer ich in Zeitschriften und auf Plattencovern nach Frauenbildern fahndete, die mit gefielen und so lange übte, bis mir der perfekte Lidstrich gelang.
Der Körper als Werbefläche
Keine Sekunde lang hatte ich dabei das Gefühl, etwas verdecken oder übertünchen zu wollen. Gegenteil: Mit jeder Lage neuer Farbe erschien vor mir mehr von der Frau, die ich als Teenager zu sein wünschte. So fühlte ich mich stark und schön. Mein Make-up war das Drachenblut in dem ich badete, bevor ich bereit war, der Welt entgegenzutreten.
Falls mir jetzt irgendwer mangelndes Selbstwertgefühl unterstellt, möchte ich fragen: Welche Fünfzehnjährige hat bitteschön ein tolles Selbstwertgefühl? Oder welcher Fünfundvierzigjährige? Wir alle fühlen uns jeden Tag unsicher und wir alle wollen um unserer selbst willen geliebt werden. Sich schönzumachen bedeutet, sich auf eine liebevolle Art mit sich selbst zu beschäftigen. Es bedeutet auch, die eigenen Stärken und Schwächen anzunehmen und Frieden mit ihnen zu schließen.
In RuPauls Drag-Universum ist Realness ein wichtiger Begriff. Bei aller Künstlichkeit und Täuschung gewinnt am Ende die Frauendarstellerin, der es gelingt, etwas rüberzubringen, dass sich wahr anfühlt. Das ist nicht immer die Schönste. Die erfolgreichsten Queens sind solche, die ihr Handwerkszeug dazu nutzen, ein Bild von sich zu malen, in dem sie sich selbst erkennen.
Realness liegt nicht in den Details, sondern es geht darum, unsere Köper nicht als Schicksal, Ärgernis oder Projektionsfläche für andere hinzunehmen, sondern als Werbefläche in eigener Sache. Mit hoch erhobenem Haupt die beste Version von seiner selbst zu präsentieren, die man sich vorstellen kann. Weil eine selbstgewählte Identität genauso echt ist, wie eine zugeschriebene.
Männer in Anzügen haben der Welt nicht gutgetan. Es gibt also keinen Grund, ihnen moralisch oder ästhetisch nachzueifern. Das Schmuckverbot für Männer, also die Konvention, dass diese sich nicht schminken oder prächtige Kleider tragen dürfen, gilt in Europa übrigens erst seit gut 200 Jahren. Der uniformierte Mann als Sinnbild von Tatkraft und Vernunft ist genauso ein hohles Klischee, wie das des beschränkten Weibchens, deren Geisteskräfte sich im Auflegen von Mascara bereits erschöpfen.
Ich bin grundsätzlich dafür, dass alle sich so präsentieren dürfen, wie es ihnen gefällt und zwar ohne, dass dadurch unzulässige Rückschlüsse auf ihr Selbstverständnis gezogen werden. Andererseits hat ein bisschen Glitzer noch niemandem geschadet.
Ich bin dafür, in Büros statt eines Casual Friday den Drag Friday einzuführen. An einem Tag in der Woche sollte die gesamte Belegschaft dazu verpflichtet werden, in schönen Kleidern, mit High Heels und makellosem Make-up anzutanzen. Inklusive Runway-Show in der Kaffeepause und Punktevergabe vor Feierabend. Das wäre dann mal Gender-Mainstreaming nach meinem Geschmack.
Zeit Online, 03. November 2017