Post-Rokoko
Let Them Eat Cake
Während das bundesdeutsche Feuilleton den Aufstieg des Neo-Biedermeiers beklagt, ist man in La-La-Land schon wieder den entscheidenden Schritt weiter. Respektive zurück. Was den Post-Rokoko so sympathisch macht, ist die längst überfällige Entkoppelung von Schönheitsideal und Leistungsethik. Unsympathisch ist lediglich der ganze Rest.
Am Konglomerat Kardashian-Jenner-West ist kein Vorbeikommen. Kris, Kylie, Kendall, Kourtney & Khloe auf allen Kanälen. Eine derartige Fixierung auf einen Anfangsbuchstaben bei der Namensgebung kennt man hierzulande sonst nur vom Goebbels-Clan (damals war des das H). Man muss der illustren Sippschaft zugestehen, dass sie in Sachen Weltherrschaft die eindeutig bessere Strategie fahren.
Unlängst hat die schillernde Mischpoke bewiesen, dass sie auch als moralische Instanz was auf dem Kasten hat: Die Enthüllung von Caitlin Jenner auf dem Cover der Vanity Fair war wohl der bisher surreal-genialste Moment des Jahres. Genderpolitik kann so einfach sein, wenn man einen guten Stylisten hat. Selbst wenn die Kritik durchaus berechtigt ist, dass Fuckability nicht den Maßstab für die gesellschaftliche Akzeptanz von Transgender-Personen im Rentenalter bilden sollte. Dem wäre vielleicht noch hinzuzufügen: Auch nicht für alle anderen. Bleibt nur die Frage: was soll das mit dem „C“, Caitlin? Rebellion bei Hofe?
Im K-Kosmos kann es nur eine absolute Monarchin geben und zwar Kim, Kim und nochmals Kim. Mit 44 Millionen Followern auf Instagram ist es ihr jüngst endlich gelungen, die lästige Fleißbiene Beyoncé abzuhängen. Kim K. regiert nun offiziell die Produktion und Rezeption von Körperbildern im Netzuniversum. Niemand betreibt die totale Transformation in eine (vermutlich) lebendige Fleischskulptur derart konsequent wie sie. Gleichzeitig verwischt ihr ausufernder Solipsismus die Kategorien Identität, Inszenierung, Mode und Kunst
Dabei geht sie durchaus klever vor: Wohl wissend, dass aus einem Brauereipferd niemals eine Gazelle werden wird, passt sie das Schönheitsideal an ihren Körper an, anstatt umgekehrt. Nun bringt Kim (die in ausgerechnet in Versailles geheiratet hat) das Rokoko-Kleidungsstück par excellence zurück aufs Tapet. Seit Paul Poirets vor rund 100 Jahren die knabenhafte Silhouette populär machte, gilt das Korsett als Synonym für die Unterdrückung der Frau in der westlichen Welt.
In seiner jüngsten Reinkarnation nennt sich das Gerät nun Waist Trainer (ja, was denn sonst?) und hat seine „Erfinderin“ PreMadonna zuerst zur mehrfachen Millionärin und danach selbst zum Reality-Star der Serie „Love & Hip Hop Atlanta“ gemacht.
Heute wie damals funktioniert das Korsett nach einer bestechend simplen Logik: Nach dem Prinzip der Verdrängung von Masse macht es in der Körpermitte dünn und nutz das überflüssige Wabbelfleisch zur Mehrwertgenerierung von tits & ass.
Dafür muss man zwar Unbequemlichkeiten auf sich nehmen, kann aber im Gegenzug Diät und Workout getrost schleifen lassen. Oder kann man sich Marie Antoinette beim Pilates vorstellen? Also. In Kims Welt dient das Fitness-Studio lediglich als Backdrop für Selfies.
Auf der Meta-Ebene zeigt sich, dass Kims Sanduhr-Look nicht nur ästhetische, sondern auch politische Dimensionen erfüllt: Unser sportliches Auszehrungsideal ist ein Vermächtnis der Aufklärung: Erst die Idee, das alle Körper gleich sind bereitete den Boden für moderne Anstrengungen der Selbstinszenierung, wobei das Leistungsprinzip regiert. Körperliche Schönheit muss schließlich verdient werden. Im absolutistischen Weltbild steht dagegen fest: Manche Körper sind besser als andere. Nur ihnen stehen Macht , unendlicher Reichtum und die Freiheit zu, sich nicht mit derart herunterziehenden Dingen wie Arbeit befassen zu müssen.
Das Tragen eines Korsetts demonstriert zu allen Zeiten den größtmöglichen Abstand vom Pöbel und dient damit als subtiles Instrument der Machtsicherung. Ähnliches lässt sich über die uralte chinesische Tradition des Füßebindens sagen: Der Lotusfuß war nicht nur Schönheitsideal, sondern zeigte auch den Reichtum der Frau an, die es sich leisten konnte, überallhin in einer Sänfte getragen zu werden.
Die Verringerung des Gebrauchswerts erhöht den skulpturalen Aspekt des Körpers. So gesehen ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis der #YeezyBoost in der strenglimitierten Lotusedition (Schuhgröße 17 – 19) auf den Markt kommt.
Kims Tochter, die auf den seltsamen, total K-losen Namen North West hört, wäre jetzt genau im richtigen Alter für die Prozedur.
KubaParis, Zeitschrift für junge Kunst, 3/2015