Normcore

Alles total normal

Die Modeszene feiert Normcore als Befreiung vom Diktat der Individualität und verkauft überteuerte Touristenoutfits als Radical Chic. Konsequent zu Ende gedacht, folgen  auf den Einheitslook der Einheitskörper und die Einheitskunst. Ist langweilig das neue cool?

Eine junge Frau Mitte zwanzig gibt auf ihrer Facebook-Seite bekannt, dass sie ihre Haare nun dunkelbraun gefärbt habe – sie sei es leid gewesen, als Blondine immer für dumm gehalten zu werden. Dazu immer wieder Selfies, auf denen sie mal Glubschaugen macht, mal Duckface. Fotos von Kirschblüten. Eine Tasse Tee. Der Sinnspruch Simplicity is the ultimate sophistication in Schnörkelschrift. Ein Sojalatte mit Hashtag vornedran. Die üblichen Versuche, der Banalität einer sorgenfreien Existenz mittels Ästhetisierung einen Mehrwert abzuringen. So weit, so gewöhnlich. Aber Amalia Ulman ist Künstlerin. Und weil auch das heute nichts Besonderes mehr ist, hat sie sich die Brüste operieren lassen. Als Kunst. Zumindest behauptet sie das. Beweismittel: Ein Selfie mit bandagiertem Vorbau. Die Netzgemeinde läuft Sturm. Männer sind bestürzt und drücken ihre Vorliebe für „natürliche“ Brüste aus. Feministinnen sind empört und erblicken im Aufschneiden des weiblichen Körpers einen Akt der kapitalistischen Unterwerfung. Kunstkritiker finden die Idee einfach bescheuert. Schließlich kommen Zweifel auf. Wahrscheinlich ist das Bild eine Fälschung. Mittlerweile wurde es wieder gelöscht.

Eigentlich sind falsche Brüste die Aufregung nicht wert. Allein in den USA, Ulmans Heimatland, erfüllen sich jedes Jahr über 300.000 Frauen den Traum von Plastiktitten. Je nach Exhibitionismusgrad teilen sie Fotos der Operation auf ihren Facebook-Seiten oder sie lassen es bleiben. Auch der Einfall, die Plastische Chirurgie als künstlerisches Ausdrucksmittel zu nutzen, ist natürlich nicht neu. In den 1990er Jahren unterzog sich die französische Künstlerin Orlan einer Reihe von Eingriffen, um danach auszusehen wie eine Mischung aus Klingonin und Cindy Lauper. Die Frage, ob ihr Tun sie als relevante Künstlerin oder nur als öffentlichkeitsgeile famewhore auszeichnet, musste Orlan sich nie gefallen lassen. Die Tatsache, dass sie sich nicht operieren ließ, um schöner auszusehen, sondern gängige Konzepte von Schönheit in Frage stellte, sicherten ihr die Achtung der Kunstwelt.

Ulman dagegen sieht nach wie vor komplett unspektakulär aus. Brüste hin, Brüste her. Sie sagt, an dieser kitschigen David Lachapelle-Ästhetik sei sie nicht interessiert. Mit ihrer Kunst möchte sie Konzepte von Durchschnittlichkeit erforschen. Dazu passt der boob job, der vielleicht gar keiner war. Zwar verzeichnet die Ästhetische Medizin von Jahr zu Jahr neue Patientenrekorde, gefragt sind aber vor allem Eingriffe, die als solche gar nicht zu erkennen sind. Die perfekt runden, der Schwerkraft trotzenden Manga-Porno-Brüste der 1990er Jahre sind passé.  State of the art sind heute tropfenförmige „natürliche“ Implantate in allerhöchstens Körbchengröße C.

Mit ihrer Strategie der korporalen Assimilierung führt Ulman konsequent weiter, was die New Yorker Trendagentur K-Hole Ende letzten Jahres unter dem Schlagwort Normcore in Welt gesetzt hat: Junge Menschen würden sich in unserer hyperindividualisierten Welt nach „Gleichheit“ sehnen und wollten fortan nichts „Besonderes“ mehr sein, sondern lieber so, wie alle anderen auch. Seit Punk wurde wohl kein Modetrend mehr so kontrovers diskutiert. Bei Normcore geht es um mehr als die Kleidsamkeit einer bestimmten Silhouette – Normcore stellt die liebgewonnene linksalternative Weltsicht, dass die Masse immer böse und der Einzelne immer gut ist, auf den Kopf. Vielleicht tut sich hier die vielgesuchte Generationslücke auf: Totale Gleichschaltung als Horrorvorstellung für diejenigen, die sich noch daran erinnern können, dass Big Brother mal keine Fernsehshow war, sondern eine Endzeitvision. Befreiung von der Individualitätsnorm als Heilsversprechen für die, die sich ohne Instagram-Post ihres Frühstücksbrötchens nicht mehr sicher sein können, es überhaupt gegessen zu haben. Die australische Musikerin und Netztheoretikerin Kate Crawford setzt Normcore in den Kontext der totalen Datenkontrolle: Wo Massenkonsum auf Massenüberwachung trifft, möchte der einzelne lieber nicht auffallen. Der Einsatz von Plastischer Chirurgie könnte dann als subversive Technik umgedeutet werden, um Gesichtserkennungssoftware ein Schnippchen zu schlagen.

Gleichzeitig wirft Ulmans Praxis auch Genderfragen auf: Ihre Selfie-Kunst ist eben nicht nur Normcore, sondern auch Girlcore. Ihre selbstverliebten Posen und die Vorliebe für zarte Farben und hübsch angerichtete Vögelchenportionen repräsentieren eine stereotype Mädchenhaftigkeit. Die Kommentare auf ihrer Facebook-Seite zeigen deutlich, dass Menschen auf diese Form der Selbstinszenierung entweder mit Wut oder Herabsetzung reagieren. Als weiße, junge und dünne Frau entspricht Ulman den gängigen Schönheitsnormen. Indem sie Ihren Körper bewusst ins Zentrum des Diskurses stellt, übt sie implizite Kritik an einer Gesellschaft, die Künstlerinnen auf ihre Körperlichkeit reduziert und treibt diesen Mechanismus gleichzeitig selbst aktiv voran. Anders als vor ihr etwa Orlan, nutzt sie die ästhetische Medizin nicht, um Schönheitsnormen zu hinterfragen, sondern um sie zu reproduzieren und damit letztlich zu bestätigen. Am Ende bleibt die Frage offen, wer sich solche Eingriffe überhaupt leisten kann.

Das Problem an Ulmans Busenkunst ist, dass die performative Überhöhung typischer Mittelklasse-Verhaltensweisen als Form der künstlerischen Kapitalismuskritik, letztendlich nur die Privilegierung der Künstlerin untermauert. Auch der modische Normcore-Anhänger lässt sich seinen hippen Individualismus-Ekel einiges kosten. So soll die Normcore-Stilikone Steve Jobs ausschließlich schwarze Rollkragenpullover von Issey Miyake getragen haben. Bei näherem Hinsehen verbirgt sich hinter dem Postulat der Gleichheit also doch nur eine klassenbezogene Hyperindividualisierung, deren Codes nur demjenigen zugänglich sind, der mal eben 800 Euro für einen Pullover hinblättert.

Das zu Redaktionsschluss neueste Selfie auf Ulmans Instagram-Account zeigt sie mit Einkaufstüten behangen nach einem Einkaufsbummel. Es ist Ansichtssache, ob man darin eine konsumkritische Kapitalismus-Performance erblicken möchte oder einfach nur ein Mädchen, das gerne shoppen geht.

KubaParis, Zeitschrift für junge Kunst, Ausgabe 1/2014