Chris Korda
"Irgendwann werde ich mich wahrscheinlich umbringen"
Um die Jahrtausendwende war Chris Korda Techno-Popstar und Transgender-Aktivistin. Heute entwickelt sie Software für 3D-Drucker. Ihre nach wie vor leidenschaftlichste Rolle ist jedoch die des Reverend in der von Korda selbst gegründeten Church of Euthanasia. Dort predigt sie antinatalistische Tugenden: Selbstmord und der Verzicht auf Fortpflanzung. Warum? Aus Liebe zur Zivilistion.
Dein Song „I like to watch“ und das Video dazu haben Sie 2003 auf einen Schlag berühmt gemacht. Warum haben Sie seitdem keine Platte mehr veröffentlicht?
Ich kann das Stück nicht mehr toppen. Es gelang mir, mit einem einzigen Track praktisch den gesamten Planeten anzupissen. Es erschien mir schlauer, aus dem Rampenlicht zu verschwinden. Hinzu kam, dass keine Lust mehr hatte, ein Kleid anzuziehen und in irgendwelchen Nachtclubs rumzustehen.
Schade, eigentlich.
Die Idee meines Labels International Deejay Gigolos war, Glamour zurück in den Techno zu bringen. Dafür war ich das perfekte Produkt. Aber ich fand es auch respektlos, auf diese eine Masche festgelegt zu werden. Außerdem musste ich meinen Lebensunterhalt verdienen, das war als elektronische Musikerin unmöglich. Für die ganzen Platten, die damals verkauft wurden, habe ich nie auch nur einen Cent gesehen.
War das Kleid nicht auch ein wichtiges Symbol deiner Transidentität?
Ich habe meinen Beitrag geleistet. Ich stand als Transperson in der Öffentlichkeit. Heute ist das Thema Mainstream, daher interessiert es mich kaum noch. Es ist wirklich egal, ob Sie „sie“, „er“ oder „es“ zu mir sagen. Veganismus und Antinatalismus erscheinen mir weitaus wichtiger.
Auf welche Projekte habe Sie sich nach Ihrem Rückzug aus dem Showbusiness konzentriert?
Ich habe zum Beispiel eine 3D-Drucker-Softwarw für ungewöhnliche Keramikobjekte entwickelt, die ich im August in Berlin vorstellen werde. Alle meine Programme sind kostenlos. Leider sind sie so speziell, dass es dafür kaum einen Markt gibt. Aber darum geht es nicht. Ich möchte die Maschine einladen, am künstlerischen Gestaltungsprozess teilzuhaben. Mich interessiert nicht, was sie effektiver tun kann als der Menschen. Mich interessiert, was sie tun kann, der Mensch aber nicht.
Die Website der Church of Euthanasia (CoE) fungiert heute nur noch als Archiv.
Die Kirche ist relevanter denn je, aber wir sind vorsichtiger geworden. Das politische Klima in den USA hat sich verändert. Öffentliche Aktionen könnten wir nicht mehr machen. Stünde ich heute mit dem Schild „Eat a queer fetus for Jesus“ auf einer Demo, würde ich von Neonazis verprügelt. Natürlich waren Slogans wie dieser reiner Dadaismus. Ich habe diese Mittel bewusst gewählt, um Aufmerksamkeit für das Anliegen derChurch zu generieren. Denn die Message bleibt aktuell: Hört auf, euch fortzupflanzen! Es gibt schon zu viele von uns.
Konsequent zu Ende gedacht führt der Verzicht auf Fortpflanzung zur Auslöschung der gesamten Menschheit. Wäre die Erde dann ein besserer Ort?
Die Leute haben nie verstanden, dass der Slogan „Save the Planet, kill yourself“ als Witz gemeint war. Der Planet muss nicht gerettet werden, er besteht aus Gestein. Die Erde wird in Milliarden von Jahren noch hier sein und es wird vermutlich immer Leben auf ihr geben. Vielleicht Bakterien oder Echsen. Was gerettet werden muss, ist die Menschheit. Oder eher: die Zivilisation.
Ist das nicht ein Widerspruch: eine Antihumanistin, die die Zivilisation verteidigt?
Ich würde mich heute eher als Post-Antihumanistin bezeichnen. Die menschliche Zivilisation hat großartige Dinge hervorgebracht: Philosophie, Literatur und Musik. Es wäre wirklich traurig, wenn am Ende nichts davon übrigbleibt.
Wie würdest du heute jemanden davon überzeugen, der CoE beizutreten?
Jeder sollte sich einmal selbst im Spiegel betrachten und sich fragen: „Ist es mir wirklich scheißegal, wie es nach meinem Tod mit der Menschheit weitergeht?“ Wenn man diese Frage mit Ja beantworten kann, ist man vermutlich bei den Republikanern besser aufgehoben als bei der CoE. Die Republikaner kennen kein Gemeinwohl. Diesen Leuten geht es nur darum, sich in ihrer Lebensspanne zu bereichern. „Fuck the Future!“ sollte ihr Wahlkampfslogan für 2020 werden. Bei der Church geht es dagegen um Selbstlosigkeit. Man muss das Opfer bringen, den biologischen Fortpflanzungstrieb zu unterdrücken, damit zukünftige Generationen überhaupt eine Chance haben, weiter auf diesem Planeten zu leben.
Überlegst du manchmal, die USA zu verlassen?
Ich denke jeden Tag darüber nach. Einerseits möchte ich nicht weg, ich habe hier meine Wurzeln. Andererseits habe ich Angst, den richtigen Moment zu verpassen. Die Menschen in Dritten Reich haben bestimmt auch daran geglaubt, dass die Vernunft am Ende siegen würde. Am nächsten Tag wurden ihre Wohnungstüren eingetreten und man hat sie ins Lager abgeholt. Ich glaube schon, dass das hier bald auch passieren könnte. Die Realität ist, dass die meisten Menschen in den USA geisteskrank sind. Sie glauben zum Beispiel daran, dass die Dinosaurier von 3.000 Jahren zusammen mit Adam und Eva gelebt haben. Wie will man mit solchen Menschen vernünftig diskutieren?
Ich glaube, du bist gar keine Misanthropin. Ich glaube, du liebst die Menschen eigentlich.
Das stimmt vermutlich sogar. Ich versuche einfach, ein gutes Vorbild zu sein. Ich lebe vegan, ich habe mich nie fortgepflanzt und irgendwann werde ich mich vermutlich auch umbringen, einfach, um es den Leuten zu beweisen.
Spex, No. 381, Juni/August 2018