Anne Sophie Berger
"Es ist mir nicht genug, Menschen einfach nur zu bekleiden."
Die Mode im Jahr 2015 zeichnet sich durch eine merkwürdige Doppelverfasstheit aus: Ihrer kommerziellen, medialen und musealen Überpräsenz steht das Verschwinden aus der Alltagsrelevanz gegenüber. Li Edelkoorts Anti-Fashion-Manifest oder der Normcore-Trend sind nur zwei Beispiele für das zunehmende Unbehagen gegenüber den Mechanismen einer krakenhaft globalisierten Modeindustrie, welche die Individualitäts-Ansprüche weniger Privilegierter gnadenlos auf Kosten der Schwächsten durchsetzt.
Das Gefühl der Entfremdung wird durch eine museumskuratorische Praxis, die einem staunenden Publikum wertvolle Couture-Kleidung wie exotische Insekten hinter Glas präsentiert, weiter vorangetrieben. Anna-Sophie Berger ist Teil von Centre for Style, dessen Mitglieder sich der Mode nicht formalästhetisch annähern, sondern auf ihre performativen Aspekte hin untersuchen und bewusst außerhalb eingeschliffener Ausstellungskontexte zeigen. Berger interessiert sich für die Mode als Erweiterung des Objektbegriffes in der Kunst, die eine extreme Nähe zum handelnden Subjekt zulässt. Ihre transmediale Modearbeiten sind oft nomadisch konzipiert: Sie wandern von der Wand auf den Körper, vom Körper auf den Fußboden und durchlaufen so den alltäglichen Nutzungszyklus von Bekleidung. Die intuitiv präsente Materialität und Skulpturalität von Bergers Mode-Objekten ist dabei stets von epistemologischen Prozessen unterfüttert, die deren historischen, kulturellen und politischen Bedeutungen enthüllen. Ein Gespräch über die Un-Darstellbarkeit der Mode
Mich interessiert deine persönliche Modesozialisation. Welche Rolle hat Bekleidung als alltags-ästhetische Praxis für dich als Heranwachsende gespielt?
Ich bin auf dem Land sozialisiert worden, jedoch mit dem Bewusstsein, nicht fester Teil der Ortstruktur zu sein, da meine Familie zum größten Teil in Wien lebte. Die Garderobe, die meine Mutter für mich auswählte, erschien im Kontrast als extravagant. Mein Außenseiterdasein setzte sich fort, nachdem ich diese Entscheidungen selber zu treffen begann.
Ein Gefühl der Inkongruenz meines äußeren Umfelds und meiner Kleidung als Erweiterung meiner Identität zieht sich durch meine Wahrnehmung von Kindergarten bis Schulabschluss. Meine Kleidung definierte sich eher im Gegensatz zu unspezifischen Clustern von Typen, wie zum Beispiel „mädchenhafte“, Figur betonende , ordentliche gegenüber androgynen, sportlichen, funktionalen Stilen. Allerdings gab es in meiner Schule – eine katholische Privatschule zu der erst ab 1990 Mädchen zugelassen wurden – eine Grundhaltung der Schülerinnen sich männliche Garderobe als Zeichen der intellektuellen Gleichberechtigung anzueignen. Ich habe zunächst gegen diese Tendenz rebelliert und zum Beispiel kurze Miniröcke getragen. Später bin ich dann wieder zu einer Art proto-maskulinem Universitätsstil mit weiten Chino-Hosen und langen Mänteln zurückgekehrt. Signifikant erscheint mir dabei weniger das Oszillieren zwischen Geschlechterrollen und den zugehörigen Stilen, als die relative Isoliertheit von größeren semiotischen Strukturen der Popkultur und den dazugehörigen Signifikanten.
Nach der Schule hast du zunächst für Modedesign studiert. Wann ist dir klar geworden, dass dein Ansatz eher in die bildende Kunst passt?
Die Entscheidung für ein Modestudium an der Universität für angewandte Kunst Wien habe ich sehr naiv getroffen. Mir war die strukturelle, theoretische und konzeptionelle Trennung zwischen den angewandten Künsten und bildender Kunst nicht klar. Mir erschien Mode als Teil des Systems Kunst spannend, weil sie den menschlichen Körper als Ausgangspunkt für skulpturale Fragen untersucht. Die Notwendigkeit ein komplexes technologisches System zu erlernen und zu meistern – Schnitt, Nähtechnik, Styling und Dokumentation – reizte mich.
Meine Krise mit der Mode stellte sich ein, als mir bewusst wurde, dass es für mich nicht ausreicht, Objekte zu schaffen, die ich danach ohne weitere konzeptionelle Einschreibung zur Benützung freigebe. Es war mir eben nicht genug, Menschen einfach bekleiden. Daran konnte ich zum ersten mal ablesen, was der grundlegende Unterschied zwischen meinem Kunstschaffen und dem System Mode war.
In den Nullerjahren war Ironie ein wichtiger Teil der urbanen Modepraxis. Junge Leute haben damals zum Beispiel T-Shirts von Bands getragen, deren Musik sie sich niemals anhören würden. Hat diese Haltung dich geprägt?
Als Teil einer Kunst-Uni und insbesondere einer Modeklasse, war ich in einer Blase der extremen Experimentierfreude, die sich meistens am eigenen Research für neue Arbeiten orientierte. Über-ironische und relativierende Haltungen der Mode gegenüber haben mich als Studentin hauptsächlich im theoretischen Diskurs gestört.
Spannend ist für mich das Thema T-Shirts. Ich befasse mich momentan sehr intensiv mit der Veränderung der semantischen und damit semiotischen Logik kommerzieller Alltagskleidung. Während in den Nullerjahren sogenannte „Statement T-Shirts“ relevant waren, deren hyperbolisch-humorvolle Aussagen in Ich-Perspektive direkt die Meinung des Trägers wiederspiegelten, entwickelte sich mit der Zeit – wohl auch über den Umweg der Ironisierung – eine neue Klasse der „beschriebenen“ Kleidungsstücke. Zunächst wurden die komplexeren Satzstrukturen vereinfacht – aus: „I love everyone but myself“ wird zunächst LOVE EVERYONE, danach LOVE. In einem weiteren schritt der Fragmentierung von Zeichen und bezeichnetem Inhalt werden Begriffe, die auf gewisse Gefühle und Zustände verweisen, zu frei einsetzbaren grafisch-dekorativen Variablen. Hierbei ist natürlich zunächst noch Bedeutung impliziert – PARIS LONDON TOKYO zum Beispiel verweist indirekt auf eine Internationalität.
Je weiter der Abstraktionsprozess, desto krasser allerdings die Unterschiede zwischen Wortinhalt, grafisch impliziertem gefühlten Inhalt und Realität des Trägers. Jeder kommerziell bekleidete Körper ist prinzipiell beschriftet, diese Beschriftungen werden von uns allerdings nicht mehr als sprachliche Zeichen gelesen, sondern als formale Muster einer Bilderlogik. Anstelle einer aufwendigen Gestaltung im Schnitt, der sich auf die Gesamtform des textilen Objektes auswirken würde, tritt eine Befüllung von einfachen Oberflächen. Der Brustkorb wird dabei zum Zentralpunkt der Aussage, meist ist die Rückseite einer Silhouette oder eines Kleidungsstückes schon nicht mehr mitgedacht, ähnlich wie die Rückseite eines Schildes oder Werbebanners.
Wo siehst Du die Beschränkungen der musealen Präsentationsform im Modebereich?
Die Beschränkungen sind einerseits generischer Natur – wie kann ich etwas ausstellen, oder eine Qualität darstellen, die sich hauptsächlich über eine Handlung, eine Benützung definiert ohne dies ausschließlich behelfsmäßig durch dokumentarische Repräsentation in Bild und Video zu tun. Andererseits führt diese grundsätzliche Erschwerung zu konservativen Traditionen im Gestalten und Denken von Konzepten zur Mode und Kleidung im musealen Bereich. Für mich wird es immer dann schwierig, wenn ambitionierte große Ausstellungen unter der Prämisse einer Bestandsaufnahme der Mode Konzepte entwickeln, die den einzelnen Elementen isolierte Rollen zuweisen, die der spielerischen komplexen Möglichkeit von Kleidung niemals gerecht werden können. Diese Modelle schneiden unter dem Überbegriff „Modeausstellung“ oder „Exhibition about Fashion“ den ausgestellten Objekten ihre performative Realität und Möglichkeiten ab.
Centre for Style wählt einen ganz anderen Ansatz, indem Mode als Kunstform bewusst außerhalb von musealen Kontexten kuratiert wird. Welche Vorteile ergeben sich daraus?
Für mich liegt die Besonderheit in dem Kollektivcharakter, welcher verschiedene individuelle Positionen bündelt und diese ohne direkten kommerziellen Impetus immer wieder neu miteinander in Kontakt treten lässt.
Die Sensibilität für Kleidung oder Objekte an sich ist eine der großen Stärken von Centre for Style. Es geht dabei weniger darum, ob Centre for Style am Ende in einem Wohnzimmer, einer Galerie oder doch in einem Museum zeigt. Es geht um das „handling“ der Dinge, die Art und Weise, sie als Teil eines Lebenskontexts zu begreifen, mit ihnen umzugehen und sie daher in einen Dialog mit einem Raum oder Ort zu bringen, ohne jemals ihr „anderes“ Leben, als Teil eines Subjekt-Objekt Bezuges abzutrennen.
Centre for Style setzt sehr stark auf die Veränderlichkeit und Modularität der gezeigten Objekte. Zwischen Ausstellungen werden manche Teile vielleicht getragen, benützt. Sie verändern sich, nutzen sich ab und tauchen an neuen Orten anders wieder auf. Diese Strategien sind in der Kunstwelt keineswegs unüblich und Centre for Style schließt damit an verschiedene Traditionen von site specific installation, performance sowie relational aesthetics an.
Wie fließt die Auseinandersetzung mit den Produktionsweisen der Modeindustrie in deine Arbeiten ein?
Wir leben in einer Zeit in der globale Probleme zu omnipräsenten Bergriffen in unserer Alltagswelt geworden sind. So abstrakt erscheinen diese Termini, dass sie oft für uns sinnlich nicht fassbar sind und wir sie nicht als Teil unseres konkreten Lebensalltages wahrnehmen. Daraus erwächst nicht selten eine Haltung der passiven Hilflosigkeit, die Veränderungen im individuellen Verhalten behindert. Im Bezug auf Konsum spielt die Blackbox einer post-industriellen Fertigungsindustrie eine zentrale Rolle in unserer Entfremdung von Produkten mit denen wir uns umgeben und deren Realität im globalen – physischen sowie sozialen – Produktionskreislauf.
Für meine Serie pea earring wurden echten Erbsensamen in einer klauenförmigen Fassung zu Ohrringen verarbeitet. Der Samen ist dabei vollkommen intakt und sicher aufgehoben bis zu einer möglichen Verwendung. Jeder Ohrring muss in der Fabrikation einzeln zurechtgebogen werden, da jeder Samen eine andere Form aufweist. Verglichen mit dem Goldschmiedeprozess und dem Silber der Fassung ist der Samen ein billiges Objekt, meine Arbeit jedoch weist ihm formal sowie ideell die fragile Wichtigkeit zu, die mit der Potenz Leben und Nahrung zu spenden einhergehen sollte. Der ästhetische Aspekt des Accessoires trifft auf die Funktionalität eines Schutzbehälters.
Die Mode hat heute einen schlechten Ruf. Junge Designer sagen gerne: „Ich mache keine Mode, ich mache einfach nur Kleidung“. Ist es nicht erst die Mode als symbolisches System, die bestimmte Kleidungsstücke so begehrenswert macht?
Ich denke, hier muss man einiges trennen. Der Vorwurf der Oberflächlichkeit an die Mode entsteht aus dem inszenierten Gegensatz aus gesellschaftlichem Körper und angenommener echter Innerlichkeit. Dieser Vorwurf muss natürlich entschieden zurückgewiesen werden, so wir unsere sozialen bekleideten Körper als maßgebliche Teile unserer Identität und somit unseres Selbst annehmen.
Die Bestrebung, sich als junger Designer von der Mode abgrenzen zu wollen ist für mich anders zu bewerten. Einerseits ist es natürlich eine falsche Begriffstrennung, da jedes Kleidungsstück einem spezifischen Zeichensystem zuzuordnen ist und somit natürlich der Mode eingeschrieben ist. Ich denke was „Mode“ hier meint, oder besser gesagt, die Ablehnung des Begriffes, ist vielmehr ein System des Hyperkommerziellen. Das Business, welches sich Fragen nach Ökologie sowie fairer Produktion immer noch weitgehend verschließt, während es im ständigen Lauf gegen die Zeit und der Suche nach dem Neuen formale Übertreibungen produziert. Es ist verständlich, dass junge Designer darauf mit dem Versuch eines Rückzuges oder einer Neudefinition reagieren. Dass dieser Rückzug natürlich den gleichen Spielregeln des Systems Mode gehorcht, ist unausweichlich. „Einfach nur Kleidung“ beschreibt den rührenden Wunsch der Wiederherstellung eines neutralen und Verhältnisses zwischen Benützer und Kleidungsstück, zwischen unverblendetem Blick von Konsument auf Konsumgut.
KubaParis, Zeitschrift für junge Kunst, Ausgabe 3/2015