Abgrund & Oberfläche

Bandanarama

BANDANA-RAMA

Als aufmerksame Beobachterin der Mode fühlt man sich zunehmend in einer textil-ästhetischen Reproduktionsschleife gefangen. Wie in Und täglich grüßt das Murmeltier, wo Bill Murray denselben Tag wieder und wieder durchlebt, jagt auf den Laufstegen ein Revival das nächste. Saison für Saison werden wir aufs Neue mit den schlimmsten Modesünden unserer Jugend konfrontiert. Ob Tattoo-Halsbänder, Tribalmuster oder Klumpschuhe, alles kommt zurück und erinnert auf unschöne Weise an das gnadenlose Verrinnen der Zeit und die grausame Beliebigkeit des Zeitgeschmacks.

Alter ist der Endgegner jeglicher Glorifizierung. Vor kurzem kursierte in den sozialen Netzwerken ein Foto, das John Lydon, the artist formerly known as Johnny Rotten, auf dem Flughafen von Los Angeles zeigte. Dieses Bild wurde eifrig interpretiert, wobei die meisten Kommentare aus unterschiedlichen Kombinationen der Wörter „Punk“, „alt“ und „fett“ bestanden. Warum so viel Hass? Zugegeben: ein schwarz-weiß gestreifter, reichlich verknitterter Schlafanzug mag an diesem Tag nicht das vorteilhafteste Outfit gewesen sein. Und auch über die Kleidsamkeit der Frisur ließe sich streiten. Aber trotzdem: der Mann ist eine verdammte Legende und darf so quallig aus dem Flugzeug schlurfen wie er will. Alle anderen dürfen das übrigens auch.

Wenn schon nicht den Legendenstatus, so teilt Lydon doch wenigstens die Haarfarbe mit Axel Rose, der in den letzten Jahren als ewiger Frontman von Guns N’ Roses und als Ersatzfrontman von AC/DC wieder vermehrt auf der Bildfläche erschienen ist. Es gibt eine berühmten South-Park-Folge, in der Eric Cartman behauptet, rothaarige Kinder hätten keine Seele. Genetisch betrachtet sind Rothaarige Mutant_innen. Das erklärt auch einiges über die wohl berühmtesten deutschen Kupferdächer, die Becker-Boys Boris und Ben. Beide eint neben der Haarfarbe übrigens auch ein Hang zur Qualligkeit mit Rose und Lydon.

Wie es bei älteren Damen häufig der Fall ist, neigt auch Axl Rose dazu, beharrlich am Stil seiner Jugend, der Zeit seiner größten sexuellen Anziehungskraft, festzuhalten. In diesem speziellen Fall bedeutet das: Radlerhosen, um die Hüfte gebundene karierte Flanellhemden und ein wahlweise als Kopftuch oder Stirnband getragenes Bandana. Das viereckige und traditionell mit schwarz-weißen Paisleymuster, jedoch längst in allen Farben des Regenbogens erhältliche Baumwolltuch, ist ein perfektes Produkt des Frühkapitalismus.

Das persische Muster gelangte als Raubkopie über irische Stoffdruckereien in die USA, wo es ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zum festen Bestandteil der proletarischen Uniform zählte. In der Popkultur bezieht das Bandana seinen Reiz daher auch typischerweise aus einer Anbiederungsgeste an die Arbeiter_innenklasse, wie die ikonischen Bandanaträger Bruce Springsteen, Bret Michaels oder Willie Nelson beweisen. Auch Rose posiert öffentlich nicht unbedingt als feinsinniger Intellektueller.Für die Zielgruppe der alternden Rockstars bietet das Bandana zudem den Vorteil, dass es Defizite der Kopfbehaarung geschickt zu verbergen weiß.

Bandanas sieht man derzeit auch auf Instagram häufig, was naturgemäß zu einer Bedeutungsverzerrung oder auch Sinnentleerung des Gegenstandes führt. Momentan vielbetrachtete Damen wie Hailey Baldwin, Kylie Jenner oder Gigi Hadid finden es gerade schick, sich die Tüchlein um die Birne zu wickeln oder neckisch um den Hals zu knoten. Es darf vermutet werden, dass sie damit nicht ihre tiefe Verbundenheit zur Arbeiter_innenklasse ausdrücken wollen, sondern dieses Neunziger-Jahre-Rock-Chic-Ding einfach frei von jeglichem Geschichtsbewusstsein so lange abfeiern, bis es von der nächsten Scheußlichkeit abgelöst wird.

In Und täglich grüßt das Murmeltier musste Bill Murray sich selbst zu einem besseren Menschen erziehen, um den Fluch der permanenten Wiederholung zu durchbrechen. Möglicherweise kann auch dem Revivaltrend nur mittels strenger moralischer Selbstoptimierung wirkungsvoll begegnet werden. Ich bin mir fast sicher: wenn wir ab jetzt nur noch freundliche Dinge ins Internet schreiben, auf Fleisch und Einwegkaffeebecher verzichten und täglich wahlweise ein Kind oder ein Tier streicheln, sind die Neunziger Jahre 2019 endlich vorbei.