Alexis Taylor

Die menschliche Micky-Maus-Krawatte

Hot Chip-Frontman Alexis Taylor beeindruckt durch seinen unverkrampften Umgang mit der Herrenoberbekleidung. Eine Stilkritik.

Es gibt Raubtiere und es gibt Fluchttiere. Alexis Taylor – klein, blass, schmallippig, schmächtig und ohne Brille blind wie ein Maulwurf – muss man wohl zu den letzteren zählen. Mit so einem Gesicht wird man eigentlich nicht Popstar. Mit so einem Körperbau versucht man eigentlich, möglichst wenig aufzufallen. Mit so einer Dioptrienzahl ist man eigentlich praktisch unsichtbar. Taylor hat sich dafür entschieden, sich nicht unterkriegen zu lassen.

Ästhetisch irgendwo zwischen der Bill Cosby Show und der Technischen Universität angesiedelt, bietet er einer heterosexuellen Modematrix die Stirn, die für Männer wie ihn nur einen Zuschauerplatz vorgesehen hat. Er bedient sich bewährter Stilmittel wie Kitsch, Camp und Übertreibung um so ein Level an Selbstironie zu generieren, das nur aus einer Überlegenheitsposition heraus funktionieren kann.

Wenn schon Brille, dann bitteschön gleich in der Größe eines mittleren Kleinwagens und so schreiend bunt, dass man von Hinsehen Kopfschmerzen bekommt. Und weil die kommerzielle Bekleidungsindustrie keine überzeugenden Utopien für einen wie Taylor entwirft, bedient er sich eben gleich am Grabbeltisch der Trash-Kultur und trägt die Ausschussware wie ein Ehrenabzeichen.

Mit seinem „Scheiß-drauf-dann-mach ich-halt-mein-eigenes-Ding“-Haltung befindet Taylor sich in bester Gesellschaft: In der Modegeschichte des Pop wimmelt von ausgeflippten Sonderlingen, die aus ihrem Unvermögen populäre Rollenbilder zu erfüllen, notgedrungen eine Tugend machten. Wer kann schon sagen, ob ein mit vollem Haupthaar gesegneter Elton John dieselbe Vorliebe für ausgefallene Brillengestelle entwickelt hätte? Ob ein 1,90m großer Prince sich ebenso lasziv in Samt und Spitze gewälzt hätte oder ob eine beizeiten auf die Kauleiste montierte Zahnspange Freddy Mercury davon abgehalten hätte, sich in Pailletten-Overalls zu kleiden?

Mit seinen poppigen Brillen und seiner Vorliebe für Mustermix erinnert Alexis Taylor ein wenig an den jungen Wigald Boning, der in den 1990er Jahren in der RTL-Show Samstag Nacht Live den Prototypen des leptosomen, intellektuell-verquasten Zappelphilipps gab. Anders als Boning, der Pausenclown, meint Taylor seine Outfits aber bis zu einem gewissen Punkt durchaus ernst. Man kommt nicht umhin, den Trotz herauszuhören, wenn er im Interview über die Einfallslosigkeit der Skinny-Jeans-und-Lederjacken-Klischeerocker wettert. Deswegen hat Taylors Gestus auch immer ein bisschen was von der verbissenen Fröhlichkeit eines Versicherungsvertreters, der seinem tristen Dasein mit witzig gemeinten Accessoires einen individuellen Kontrapunkt entgegenzusetzen versucht. Alexis Taylor, die menschliche Mickey-Maus-Krawatte.

Fest steht: Taylor hat einen kunterbunten Anti-Look kultiviert, der auf den Straßen von Shoreditch, Neukölln und Williamsburg bereits tausendfache imitiert wird. Dünnbeinig, schlaksig und mit störrischem Haar weiden seine Klone sich mit Wolllust an allem, was weniger aufgeschlossenen Geistern als unvorteilhaft und geschmacklos gilt: Logo-Prints, Karottenhosen, Strickpullis mit geometrischen Formen oder Windbreakern in Neonfarben.

Sie nehmen sich das Recht heraus, ebenso spielerisch und expressiv mit Mode umzugehen, wie es die Gesellschaft traditionell nur den Frauen zugesteht. Dieses Aufbegehren, obwohl in der Männermode längst überfällig.

 

Spex No. 361, Mai/Juni 2015