Hipster-Misogynie

Kleider machen heute

Jung, wild und gegen alle Regeln –  angesagte Modelabels geben sich gern szenenah und subversiv. Bei näherem Hinsehen entpuppen die Macher sich jedoch als reaktionärer Altherrenclub. Der tiefe Fall der Hipsterikonen Dov Charney und Terry Richardson zeigt den Fehler im System: Ironie macht aus einem Spargeltarzan noch lange keinen Rockstar und ein Schwein mit Schnauzbart und Nerdbrille bleibt trotzdem: ein Schwein.

Eigentlich war die Idee nicht schlecht, sogar genial. Mit seinem 1998 in Los Angeles gegründeten Textilunternehmen American Apparel erfindet der Kanadier Dov Charney das T-Shirt neu und das männliche Dekolleté gleich mit. Das in allen Farben des Regenbogens erhältliche und mit tiefem V-Ausschnitt versehene Kleidungsstück ist fester Bestandteil der globalen Hipster-Uniform der frühen Nullerjahre. No Label heisst das neue coole Ding und die junge Käuferschaft konsumiert nebenbei noch das gute Gewissen, keine Bangladeschi-Kinder auszubeuten.

Die Tatsache, dass Charney als Unternehmer dazu bereit ist, seinen Näherinnen sogar mehr als den in den USA üblichen mickrigen Mindestlohn zu zahlen, reicht aus, ihn in den Augen der Weltöffentlichkeit zu einer Art engelsgleichem Retter der Unterprivilegierten zu machen. Trotz mehrerer laufender Verfahren wegen sexueller Belästigung von Mitarbeiterinnen will lange niemand etwas davon wissen, dass eben dieser Charney ein Arsch allererster Güte ist.

Der Shop-Mitarbeiter entlässt, die eine Gewerkschaft gründen wollen oder einfach, weil sie zu „hässlich“ sind. Einer, der zu Meetings mit weiblichen Angestellten gerne mal die Hose zu Hause lässt. Erst als der öffentliche Druck zunimmt und American Apparel im vergangenen Jahr ein dickes Umsatzminus von 106 Millionen Dollar einfährt, handelt der Vorstand und feuert Charney aus seiner eigenen Firma.

Beinahe zeitgleich fiel Charneys Buddy im Geiste, der Modefotograf Terry Richardson, öffentlich in Ungnade, nachdem mehrere zum Teil minderjährige Models berichtet hatten, Terry habe bei Shootings sein körpereigenes Teleobjektiv nicht immer unter Kontrolle. Richardson prägte Ende der 1990er Jahre die Amateurpornoästhetik, die auch Charney gerne für seine Werbekampagnen einsetzte.

Blutjunge Dinger, halbnackt und grell ausgeleuchtet. Ironie lautete das Zauberwort der Stunde, das die älteste Masche der Welt auf einmal frisch und cool wirken ließ.

Charney, Jahrgang 1969, und Richardson, Jahrgang 1965, verbindet mehr als nur ihre Anklageliste. Man kann ihnen eine gewisse Familienähnlichkeit nicht absprechen: Hackfressen mit Kassengestell, schütterem Haar und flaumiger Gesichtsbehaarung. Beide werden im Nordamerika der 1980er sozialisiert. Eine Zeit, in der Nerds noch uncool sind, gnadenlos ausgegrenzt werden und – so erzählen es zahllose Highschool-Movies – hilflos zusehen müssen, wie die heißen Cheerleaderinnen reihenweise von körperlich überlegenen Jocks  flachgelegt werden. Ohne Zweifel eine prägende Erfahrung. So beklagt sich Michel Houellebecq, krummes Männlein und Misogynie-Shootingstar der 1990er,  in „Die Ausweitung der Kampfzone“ wortreich darüber, dass Muschi eine zahlungskräftige Währung sei, die ihm aufgrund seiner Gestalt im System des sexuellen Kapitalismus versagt bleibt.

Die 1980er sind aber auch das Jahrzehnt der rebellischen Jugendkulturen. Von Punk über Hardcore bis Gothic beweisen marginalisierte Jugendliche, das Attitüde, Kreativität und Style wichtiger sind als Muckis und Kohle. Hier setzt die Vermarktungsmaschinerie von American Apparel an: Zwar ist der Ausverkauf subkultureller Werte an sich nichts Neues, aber Charneys Oberflächen-Hedonismus gepaart mit Fair-Trade-Gutmenschentum trifft den Nerv der Generation Y. Charney und Richardson ist es gelungen, die Haltung der Subkulturen auf zynische Weise zu kommodifizieren und sich damit selbst – zumindest eine gute Dekade lang – an die Spitze der sexuellen Nahrungskette zu katapultieren.

2012 schreibt Mark Greif in seinem „Nachruf auf den weißen Hipster“, dass diese Figur keines der wesentlichen Merkmale klassischer Jugendkulturen wie Konsumkritik, Umweltbewusstsein oder Auflehnung gegen Autoritäten besaß: „Diese Subkultur verachtete die Moral, liebte den Konsum und huldigte dem Lifestyle. Der einzige Grund, warum es den Hipstern trotzdem gelang, sich als oppositionelle Bewegung zu verkaufen, bestand darin, dass ihre Hobbies und Leidenschaften scheinbar gewalttätig waren und bestehende Grenzen verletzten.“ (Der Diskurs über das H-Wort möge an anderer Stelle geführt werden, der Begriff wird hier aus Mangel besserer Alternativen verwendet. Es gilt: Wer Hipster hasst, ist wahrscheinlich selber einer.).

Waren die 1980er noch von Androgynität und Softietum geprägt, zeichnet der zeitgenössische Hipster sich durch die – selbstverständlich ironisch gemeinte –  Aufwertung knallharter US-amerikanischer Macho-Insignien aus. Man trägt Wifebeater, Flanellhemden, Trucker-Caps und tätowierte Unterarme. Damit einher geht eine neue Lust am politisch Unkorrekten, die Anzeigenmotive von American Apparel zeigen Männer im Anzug, vor denen Frauen mit hochgeschobenen Röcken kriechen. Oder die nackten Brüste einer dunkelhäutigen Frau mit der Aufschrift „Made in Bangladesh“.  Das britische Label Madhouse näht statt einer Waschanleitung einfach den Hinweis „Give it to your woman – it’s her job“ in seine T-Shirts.

Der Hipster-Sexismus wird gerade von denjenigen propagiert, die es eigentlich „besser wissen“ sollten. Leute mit gutbürgerlicher Erziehung und geisteswissenschaftlichen Abschlüssen, die sich selbst als aufgeschlossene Freigeister betrachten. Der ironische Gestus vermag jedoch nicht lange darüber hinwegzutäuschen, dass sich hinter der witzig gemeinten Frauenfeindlichkeit – Überraschung! – Frauenfeindlichkeit verbirgt. Die coole Misogynie der Hipster hat ein Klima geschaffen, indem es als okay erscheint, Frauen als Schlampen zu deklassieren und klein zu machen, wenn sie zu bedrohlich werden. Ein Hipster, der seine Freundin dazu auffordert, ihm verdammt noch mal ein Bier zu holen, weiß, dass sie den kleinen Scherz verstehen wird – und ist klammheimlich trotzdem der Meinung, sie solle ihm verdammt noch mal ein Bier holen.

Im Mai 2014 tötet der 22-jährige Amokläufer Elliot Rodgers sechs Menschen, bevor er sich selbst erschießt. Auf Youtube hat er zuvor ein Video hochgeladen, in dem er einen Rachefeldzug gegen „blonde Schlampen“ ankündigt, die die Frechheit besäßen, nicht ihm schlafen zu wollen.

Die traditionelle heterosexuellen Alphatier-Männlichkeit wieder salonfähig gemacht zu haben, ist rückblickend wohl die größte Errungenschaft der Ironiekultur.  Gavin McInness, Mitbegründer von VICE und oft als „Godfather of Hipsterdom“ bezeichnet, setzt diese Entwicklung konsequent fort. Mittlerweile dreifacher Vater und überzeugter Katholik, erklärte er 2013 in einem Interview der Frauenwelt ganz unironisch, sie solle sich doch fortan lieber wieder aufs Kinderkriegen konzentrieren und das mit dem Arbeiten den Männern überlassen.

Dass das ernstgemeinte Mackertum in Wirklichkeit natürlich niemals aus der Mode gekommen ist, davon kann sich jeder beim Besuch einer beliebigen Eckkneipe überzeugen. Der Unterschied ist nur, dass es vorher in „alternativen“ Kreisen nicht als schick galt, ein misogynistischer Vollpfosten zu sein.

Die Jugendkulturen des 20. Jahrhunderts boten ihren Mitgliedern einen Zufluchtsort an dem die Regeln der Normalo-Welt aufgehoben waren. Wer in der Schule von allen verarscht wurde, dem bot die Clique Halt. Im 21. Jahrhundert heißt verarschen Mobbing und die hippen Mega-Labels übernehmen die Rolle des Klassenschlägers.

Verunsicherung verkauft T-Shirts. Wer mit sich selbst im Reinen ist, konsumiert weniger.

Mike Jeffries, Chef der Preppie-Marke Abercrombie & Fitch, machte im vergangenen Jahr von sich reden, als er erklärte, Alte und Dicke sollten gefälligst woanders einkaufen gehen: „Wir entwerfen für die coolen Kids, mit denen jeder befreundet sein will.“ Stilistisch betrachtet ist A&F so etwas wie das Anti-American Apparel. Statt Kaputtheit und Ironie regieren hier strahlend weiße Kauleisten, seidiges Blondhaar und sanft gebräunte Haut. Bewerber um eine Stelle im Verkauf werden einem härteren Castingprozess unterzogen als Heidi Klums Möchtegerntopmodels. Der 68-jährige Botox-Fan Jeffries weiß genau, wie Erfolgstypen aussehen. 2003 wurde er zur Zahlung von 40 Millionen Dollar Entschädigung verdonnert, nachdem eine US-Bürgerrechtsgruppe A&F im Namen von 10.000 erfolglosen Stellenbewerbern wegen Diskriminierung verklagt hatte. Der Vorwurf: Jeffries würde Bewerbungen von Schwarzen, Latinos und Asiaten gezielt aussortieren und bevorzugt Weiße einstellen. Dieser Tage macht Jeffries mit einer neuen Tour von sich reden: A&F führt „Triple Zero“ ein – eigentlich eine Kindergröße. Die Skinny-Jeans im Miniaturformat sorgen dafür, dass auch superschlanke Frauen sich fett fühlen dürfen.

Dann gibt es noch Richard Hayne, Präsident der Teenie-Ladenkette Urban Outfitters. Ein T-Shirt für junge Mädchen mit der Aufschrift „Eat Less“ musste nach Protesten aus dem Programm genommen werden. Ein weiteres, dessen Slogan sich für die in den USA immer noch heftig umstrittenen Gay Marriage aussprach, zog Haynes persönlich aus dem Verkauf. Der konservative Hardliner unterstützt seit Jahren aktiv die Anti-Gay-Bewegung.

Wo cool draufsteht, ist nicht immer cool drin. Im materialistischen Individualismus ist Form alles und Inhalt nichts. Im Supermarkt steht Subversion gleich neben Authentizität und die Deppen von gestern sind die Helden von heute. Anything goes. Wenn Volltätowierte für Bausparverträge werben und IT-Experten mit dem Skateboard zum Biobäcker fahren, kann der Underground-Verwertungskreislauf als abgeschlossen betrachtet werden. Die Mode sagt zum Abschied leise Servus – als soziales Distinktionsmittel hat sie längst ausgedient. Wirklich schocken könnte wohl wohl nur noch eine neue Generation die konsequent auf  Konsum verzichtet, doch wer in den letzten Wochen die Schlange vor der neu eröffneten Filiale des Billig-Retailers Primark am Berliner Alexanderplatz gesehen hat weiß, das kann noch eine Weile dauern.

Spex No. 355, September 2014